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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 20 (2. Juliheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Gutes Deutsch
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Bartels, Adolf: Maxim Gorjki
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0371

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sonst unsrer Meinung, so sind wir meist „voll und ganz" einverstanden,
und sei sie „sormell" noch so fürchterlich. „Formell, das ist schließlich
Nebensache/ es gibt wenige Worte, die den Tiefstand unsrer ästhetischen
Bildung besser kennzeichnen. Was heißt denn Bildung im letzten
Grunde, als Bildung d. h. Formung unserer Organe, des Auges, daß
es besser sehen, des Ohrs, daß es besser hören, des Verstandes, daß
er besser denken, der Phantasie, daß sie besser mit dem vom Gedächt-
nisse aufbewahrten Ohren- und Augenschatz wirtschaften kann! Ver-
stehen wir die ästhetische Kultur erst einmal demgemäß, so erscheint sie
uns als „Nebensache" schwcrlich mehr.

Auch unsere Sprache steht mit ihr durchaus in engem Zusammen-
hang. Ueben wir uns, der Sprache überall auf die Arbeit zu sehn,
nicht schulmeisterlich nach der Tabulatur des „Korrekten" hin, das so
oft ein Absterbendes ist, sondern wie bei allen Dingen auf den Gehalt
an Leben hin, das heiht auf ihre immer sich umändernde, immer sich
anpasscnde, immer ein Sein ausdrückende Gestaltung hin. Ueben
wir uns darin! Betrügen wir uns aber nicht mit der Hoffnung, wir
könntcn allgemein ein wirklich .gutes Deutsch" ohne allgemeine Hebung
unsercr ästhetischen Kultur überhaupt erhalten, vor allem ohne Pslege
des „Aschenbrödels unsrer Erziehung," der Phantasie. A.

sVIarim 6orjki.*

Maxim Gorjki ist jetzt der größte russische Schriftstrller," schreibt
Michael Feofanoff, dcr zwei Bände ausgewählter Erzählungen dieses
Autors in deutscher Uebersetzung bei Eugen Diederichs in Leipzig
hcrausgcgeben hat. Man wird wohl hinzufügen dürfen „nach Tolstoj" ;
denn dcr Alte von Jasnaja Poljana lebt immer noch, und wenn auch
scin letztes Werk, wic natürlich, eine Abnahme seines künstlerischen Ver-
mögcns zeigt, so kann er doch beanspruchcn, immer nur in der Gesamt-
hcit seines Schaffens gesehen zu werden, und da ist er unbcdingt die
größte dichterische Erscheinung, die Rußland hervorgebracht hat. Es
scheint jetzt für die russische Literatur, nachdem das Triumvirat Turgenjew,
Tolstoj, Dostojewskp die Höhe erreicht, die Zeit des Niedergangs ein-
zutreten, doch wollen wir uns hüten, wie das bei unserer eigenen
Literatur zu ihrem großcn Schaden geschehen ist, von einer Epigonen-
zeit zu reden. Sind bei uns nach Lessing, Goethe und Schiller noch
Kleist und Grillparzer, Hebbel und Ludwig, Mürike und Keller gekommcn,
so können sich auch in Rußland immerhin noch sehr bedeutende Kräfte
emporarbeiten, und die Garschin und Korolenko, die wir bisher von den
Jüngeren kannten, sind ja zweifellos interessant genug. Weniger halte
ich von A. Tschechoff, dem „russischen Maupassant," der ebenfalls neuer-
dings im Diederichsschen Verlage erschienen ist. Dagegen ist Maxim
Gorjki sicherlich eine heroorragende Erscheinung, wenn auch nur ein
Spezialist. Aber es ist ja die Regel, daß nach dcn großen „Total- und
Universalpoeten" die großen Spezialisten kommen, Mörike und Keller
sind ja auch so etwas, wenn auch nicht Hebbel.

Das besondere Gebiet Gorjkis ist die Darstcllung des russischen
Vagabundentums, der „Barfüßer/ wie der bezeichnende russische Ausdruck

» Jm Sommer ,sor geschrieben.

2. Iuliheft sZo2
 
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