Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1902)
DOI Artikel:
Brandt, Georg: Uebungen im Gedichtlesen, [3]: noch etwas über Rhethorik und Anschaulichkeit
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Allerhand Musikalien, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0524

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und sofort ladet auch das Versmaß breiter aus: „Wie laut im hellen
Sonnenstrahl — Die süßen Vöglein allzumal!"

Was uns an tiefsten Lebenswerten gegeben wird, nicht der Gegen-
stand noch die Form, sondern der Gehalt, darauf kommt es ja auch beim
Dichter an letzter Stelle an. Auch die Anschaulichkeit eines Gedichtes
ist zwar das wichtigste Kunstmittcl, aber doch eben nur ein Kunstmittel,
wie der Rhythmus auch eines ist. Daß ein Gedicht herrlich sein kann,
wenn eine edle Mcnschcnseelc sich auf andre Weise mitzuteilen vermag,
beweist z. B. das ^Abendlied" des Matthias Claudius, dessen stillen
Zauber weder seine Anschaulichkeit noch sein Rhrsthmns erklären können.
Freilich, es ist ein ganz und gar schlichtes Gedicht. Hätt' es schön-
rednerischen Aufputz bekommen, was würe dann aus ihm geworden?

Georg Braiidt.

Kllenknnci MusikÄlien. 3.

Mein Aufsatz über Max Reger (Kw. XIII, 23) sowie vereinzelte spätere
Bemerkungcn über den Komponisten haben bei einigen Lesern Befremden cr-
regt. Jch benutze darum die Gelegenheit, die mir ein paar neue Werke Regers
gcben, auf den strittigen Punkt kurz nochmals zu sprechen zu kommeu.

Max Reger ist für mich ein autzerordsntliches musikalisches Talent, das
den äutzern Apparat, der zum Komponieren nötig ist, in bewunderswerter
Wsise beherrscht, erstaunlich rasch und leicht komponiert und sich jeder Aufgabe
gewachsen zeigt, soweit sie geringe Anforderungen an innere künstlerische Kraft
stellt. Aber Reger scheint mir kein Schöpfer neuer Werte, kein Erfinder oder
Finder, sondern meist Tonsetzer im Sinne überwundener Zeitcn. Und darum
ist, glaube ich, vor seiner Ueberschätzung zu warnen. Jnsbesondere sind's Orgel-
virtuosen, dic in ihm ihren Gott sehen, blind gcgcn alle seine Schwächen. Allcr-
dings ist, was er sür Orgel geschrieben, ssin Bestes, scine Spezialität. Auch
die heute anzuzeigenden Werke, ox. 59 und 60, gehören dieser Gattung an.
op. 59, Stücke für Orgel, ist bei C. F. Peters crschicncn, op. üv, eine

zweite Sonate (v-iuoll) für Orgel, bci F. E. C. Leuckart. Solche Werke er-
klären die Verehrung, mit denen unsere Orgclmeistcr zu Reger aufschauen. Sie
können an ihnen lernen, mit ihnen glänzen. Die schwierigstcn Problemc der
Technik und des Vortrags warten ihrer hier. Ja, Reger ist in ihnen auch
aus seiner Manier, dcn Stil von Brahms zu kopieren, herauSgegangen. Und
wie zu erwarten war, hat er mit derselben Vehendigkeit, mit der er sich ihm
und Bach assimiliert hatte, jetzr alle die Kunstgriffe der Modernsten gelernt.
Die ganze Chromaiik und alle die harmonischen Verwegenhciten der Zukunfts-
musik sind mindestens darin. Die Werke könnten in unsern Konservatorien als
Nüsse, die dic fortgeschrittensten Schüler in der harmonischen Analyse zu knacken
hätten, gute Verwendung finden. Aber — ich kann mir nicht helfen —, wenn's
auch viel chromatischer ist, als bei Liszt, und wenn auch vicl mehr ^durchgeht,"
als bei Wolf, cs ist kein Fortschritt, denn es ist kcine innere Notwendigkeit in
dieser Freiheit. Und alles, was so kompliziert und kontrapunktisch übsrreich
gemacht ist, ist nur ein kostbarcs Gewand, unter dcm das blühcnde Fleisch
melodischer Erfindung nicht in gleicher Fülle und Schönheit ruht. Odcr sind
die Gegner Regers, die behaupten, datz man die überladene, barocke Fülle seincr
kontrapunktischen und harmonischen Einfülle niemals wird überschauen, noch
mit dcn Mitteln selbst der modernsten Orgel zur Klarheit bringen können, sind
Runstwart
 
Annotationen