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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 14 (2. Aprilheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Wie richten wir den Dürerbund ein?
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Vergängliche Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0071

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Jch schließe diesc vorläufigen Mitteilungen im Namen des vorbe-
reitenden Ausschusses mit der Bitte: wer dem Dürerbunde noch beizu-
treten denkt ohne sich bisher gemeldet zu haben, der thue das jetzt. Es
genügt cine Postkarte mit Beitrittserklärung, Angabe des Jahresbeitrags
und deutlicher Adresse, gerichtet an Avenarius in Dresden-Blasewitz.
Geld bitten wir auch jetzt noch nicht einzusenden. Mögen alle unsre
Freunde und Freundinnen zu uns treten! A.

VergLngiicke Rurisl?

Wenn Gedanken und Werke ihren Schöpfer um ein paar Jahr-
hunderte überleben, so sprechen wir von ihrer Wahrheit und Echtheit.
Und wir thun groß und unfehlbar ob dieses banalen untrüglichen Urteils.

Man glaube nicht, daß ich mit solchen Gedanken und Werken die
alltäglichen meine, denen Wallenstein flucht, deren Göttlichkeit vom
Philister nur deshalb beschworen wird, weil sie grau vor Alter sind und
ihre Amme die Gewohnheit ist — nein, ich rede ganz ernst von den
großen individuellen Schöpfungen menschlicher Kraft, die noch heute und
morgen unser Herz in den gleichen Schauern erbeben machen, wie sie
es vor Hunderten von Jahren vermochten. Um ein paar Namen zu
nennen: Plato, Buddha, Christus, Michelangelo, Shakespere.

Jch will nun durchaus nicht die Sichcrheit dieses nachhinkenden
Wertmessers anzweifeln, will auch nicht ausführen, wie schwer das geistige
und künstlerische Leben jeder Gegenwart unter diesem Kanon leidet.
Denn dcr beschränkteste Flachkopf, der den historischen Wertmesser von
der Schule her im Gedächtnis hat, nimmt ja das Necht für sich in An-
spruch, alle modernen Arbeiten, die er nicht in die landläufigen Stile
und Gruppen einreihen kann, von sich und aus dem Bereiche der Kunst
und der Wissenschaft weisen zu dürsen. Und gar stolz wirft er sich da-
bei in die Brust, weil kein Gegner der Welt ihn bei lebendigem Lcibe
zu widerlegen vermag. Wer schleppt denn auch -für ein „badendes
Mädchcn"' Klingcrs mit eins dic Jahrhunderte herbei, die zur Heilig-
sprechung künstlerischcr Arbeit notwendig sind?

Mich beschüftigt vielmehr die Umkehrung der billigen Erkenntnis,
aus der jenes Werturteil abgeleitet wurde. Sind denn nun alle wahren
Gedanken und alle echten künstlerischen Thaten über die langc Mensch-
heitsvergangenheit bis zum heutigcn Tage weggeschritten? Jst die ganze
Ernte menschlichen Denkens und Fühlens auf uns gekommcn, sodaß wir
sie in die Scheuer unserer Kultur einfahren konnten? Und anderseits
ist wirklich nur das unvergänglich, was greifbar, kontrollierbar und mit
dem Namen des Urhebers versehen ist?

Nein — die Gedanken haben, das dürfen wir annehmen, auch
wcnn sie vcrloren und vergessen waren, ihre Wiedergeburt gefeiert. Wer
kann abschätzen, wie viel die späteren Pythagoreer, vielleicht nur in in-
timcn Gesprächen, dem Kopernikus vorwcggenommen haben? Es ist eben
zweimal dasselbe gedacht worden, und auf die Form kommt's dabei
nicht an; die Wicdergeburt cines Gedankcns ist seiner Geburt wesens-
glcich. Bei den Kunstwerken aber spielt die sinnenfällige Gestaltung
ciue wcit wichtigere Rolle. Ob ein Gedanke in dieses oder jenes Axiom

2. Aprilheft ^02

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