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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 19 (1. Juliheft 1902)
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Weber, Leopold: Emil Strauß, ein neuer Erzähler
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Schoenaich, Gustav: Zur Erneuerung Bachs
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0326

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deutücher thut — ja, da entfaltet er eine Kraft der Anschauung und,
namentlich in seinen Kinderszenen, einen beglückenden Glanz der Phantasie,
daß man ihn ruhig neben den Bssten der Mitlebenden genießen kann.

Selbstverständlich erhält sich sein Talent nicht durchweg auf solcher
ästhctischcn Höhe. Es hängt mit den besonderen Eigenschaften des Er-
zählcrs zusammcn, dah er auch dort, wo er der äußeren Form nach
darzustellen vorgibt, manchmal doch nur schildert. So übermitteln die
Reden, die er seine Leute halten läßt, oft nur in erläuternder Weise
den geistigen Jnhalt, ohne in der Ausdrucksweise den Redenden
persönlich zu charakterisieren. Selbst ungutes Papierdeutsch kommt vor.
Jn Bezug aus sprachbildnerische Technik im Satzbau endlich stört mich
nebcn manchen allzu langwierigen und daher unklarcn Pcrioden besonders
die Hüufigkeit ineinander gedrängter Partizipialkonstruktionen, in denen
die Anschauungen unübersichtlich zusammengcpackt liegen; ebenso Rclativ-
sütze, die den Hauptsätzen Gleichwertiges oder gar Uebergeordnetes als An-
hängsel hinten nachschleisen. Doch bleiben bei ihm diesc größeren und
kleineren Mängel meines Erachtens ncbensächlicher Art. Gegenüber dcm
Bedeutenden, das uns Strauß zu geben hat, fallen sie wirklich wenig
ins Gewicht, sobald er aber, in vollem Schassensfeuer arbeitend, sein
Tiefstes und Eigenstes gibt, schrumpfen sie auf ein Mindestmaß zusammen
oder verschwinden ganz. Leoxold wcber.

Erneuerung kLcks.

Langsam, aber sichcr und unaushaltsam vollzieht sich der Vor-
gang der Wiedcrausnahme Johann Sebastian Bachs in Fühlen und
Denken der deutschen Musikwclt. Die tropische Entwicklung der musi-
kalischen Kunst vom Tode des großen Kantors bis zur Schöpsung des
musikalischcn Dramas durch Richard Wagner hat die Aufnehmendcn
kaum zur Besinnung kommen lassen. Zu dem herrlichen Gebäude der
dcutschen Musik schus sich jeder der großen Meister seine eigenen, von
seinem grohen Geiste erfüllten Räume, in denen sich Zeitgenossen und
Nachkommen aufnehmend und genießend crgingen. Man vergaß darüber
des mcerestief eingesenkten, kyklopischen Fundaments, das Sebastian
Bach für diesen erstaunlichen Bau geschaffen. Erst zu Bcginn des
vorigcn Jahrhunderts wagte man sich scheu beklommen in diese unge-
heuren Gewülbe, dercn Tragkraft von den Meistern großcnteils nur
instinktiv erkannt worden war. Die Ausgabe der Bachgesellschaft —
ein nie genug zu preisendes Verdienst ihrer Veranstalter — hat den
Grundriß aufgedeckt, sie hat den Schatz bloßgelegt und vor Vcrschüttung
bewahrt — ihn zu heben, zu verwerten, das Gerettete ins künstlerischc
Leben zu übertragen ist Sache der thätig wirkenden Musiker, sreilich nur
auserlesener, die Bach im Geiste und in der Wahrheit verstehen und
mit den Geheimnissen einer gefühlsverständlichen Wiedergabe seincr Werke
vertraut sind. Die unerreichte Meisterschaft Bachs in der Beherrschung
nnd sein ungemessener Reichtum in der Erfindung musikalischer Formen
hat ihn dem Geschlechte, das zuerst wieder an seine Erscheinung heran-
trat, zunächst als überlebensgroßen Formalmusiker erscheinen lassen.
Das tiefe und leidenschaftliche Gesühlsleben, welches das Geäder dieser
Formen durchzieht und deren Mannigsaltigkeit recht eigentlich hat ent-

Iuliheft 1902

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