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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 21 (1. Augustheft 1902)
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Göhler, Georg: Drei Lilien
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Bürkner, Richard: "Kirchlicher Stil"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0429

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künstler, von dem unsere Liedschreiber, die dic Modernität in der Verzwicktheit
und Ueberladenheit der Begleitung suchen, lernen sollten. Diejenigen unserer
Sänger, die noch Zeit für die Kunst haben, sollten diese Liedcr studieren und
singen.

Auch Arnold Mendelssohn, dessen ich schon öfters hier gedenken
konnte, hat seine neuesten Werke in dem Verlage Dreililien erscheinen lassen.
Es sind sünf Federzeichnungen für Klavier (ox. 20) und drei Tonsätze
für Violine und Klavier (ox. 24). Die Klavierstücke sind im Unterrichte
als feine Vortragsstücke, die auch dic Technik sördern, gut zu verwerten. Sie
nehmen sich aus wie bewutzte Versuche, in der Manier unserer besten Kompo-
nisten zu zeichnen und mützten als solche der Reihe nach die Ueberschriften:
Schubert, Lloivent mu8ieat; Schumann, Phantasiestück; Gade, Bagatelle; Bach,
Gigue; und Brahms, Jntermezzo, tragen. Der Charakter ist sehr gut getroffen
und die Art, wie Mendelssohn schreibt, lätzt jeden Zwang des Kopierens ver-
missen. Dringend empfehle ich Geigern die drei Stücke mit Klavier, die als
gute Zausmusik und dankbare, klang- und geschmackoolle Vortragsstücke die
weiteste Verbreitung verdienen.

Neben der schon angezeigten Auswahl Zumsteegscher Lieder reiht sich
den Vcröffentlichungen des Verlages als weitere historische Ausgrabung eine
Kammersonate von August Kühnel an, die, bearbeitet von Fr. Bennat, den
Cellovirtuosen als famoses Variationenwerk empfohlen werden kann.

Wir wünschen dem Verlagshause die Gclegenheit, noch recht viele so gute
Sachen wie die von Schnabel und von Mendelssohn in so geschmackvoller Aus-
stattung ins Knnstleben einzusührcn. Mögen ihm die Musikliebenden lebhafte
und anhaltende Teilnahme cntgegenbringen! Georg Göhler.

„Ri?ckiicker 8iU."

Vor einigen Jahren beschlosscn dic Pfarrer einer kleinen deutschen
Landesiirche, ihrem Fürstenpaarc zu seiner goldenen Hochzeit als Er-
innerungszeichen (nicht als eigentliches Geschenk) zwei Gesangbücher zu
spenden. Der Goldschmied entwarf eine hübsche Zeichnung: die in
braunrotem Sammet gebundenen Büchcr sollten einfache aber reizvoll
gestaltete Schlicßen und Bänder von getriebenem Golde erhalten. Dieser
Entwurf erregte jedoch das Mißfallen eines höheren Geistlichcn, der ge-
legentlich eines Kirchenneubaus in seiner Gemeinde einige kunstgeschicht-
liche Kenntnisse gesammelt hatte und seitdem in den Fragen geistlicher
Aesthetik für maßgebend geachtet wurde. Und weshalb ärgerte er sich
an dem Band? Er meinte, das sei kein „kirchlicher Stil"; die Gold-
schmiedearbeit der Gesangbücher müsse in gotischen Formen ausge-
sührt werden.

Neulich sandte mir ein Pfarrer die Bilder seiner Dorfkirche, eines
kleinen einfachen Baus, außen und innen in einer Einheitlichkeit des
Stils, wie man sie selten findet um die Mitte des (8. Jahrhunderts, in
den damals üblichen Formen ausgesührt und ausgeschmückt: ich solle
ihm doch Maler und Muster „kirchlichen Stils" angeben, denn die Kirche
solle neu ausgemalt werden. Wie ich sofort erwartet hatte, ergab sich's
dann auch: mit dem „kirchlichen Stile' waren gotische Formen
gemcint.

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