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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 24 (2. Septemberheft 1902)
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Bartels, Adolf: Friedrich Hebbel
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Friedrichs, ...: Schulgesang fürs Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0582

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Trennung, in Wirklichkeit .zersetzt" die Hebbelsche Reflexion auch gar
nicht, sie legt nur die Grundverhältnisse blotz, um dem zu Schaffenden
das Gepräge der Notwendigkeit verleihen zu können. Schwerlich hat
ein wirklicher Tragiker jemals viel anders geschaffen als Hebbel. So
ist denn bei ihm auch wohl kaum, wie ich früher selbst glaubte, cin
Bruch zwischen Kraft und Erkenntnis, es ist eher seine leidenschaftliche
Natur, die ihm im Wege ist, die, wic schon gesagt, seine Gestalten zu
stark mit seinem eigenen Blute tränkt und seinen Weltbildern eine allzu
individuelle Färbung verleiht. Man darf vielleicht auch sageu, es ist
sein Dithmarschcrtum, was ihn, wie es ihm seine Größe und Besonder-
heit gab, auch beschränkt. Daher ist sein Drama nicht zu der Höhe des
antiken und des Shakespereschen emporgewachsen, kein Weltdrama ge-
worden, eine selbständige Welt ist es aber doch, um so bewunderungs-
werter, als es ein Mann aus eigener Kraft, im Gegcnsatz zu seinem
Volke und zu seiner Zeit schuf. Aber wir hoffen, daß dieser Mann
nicht allein bleibt; er und kein anderer hat den Grund gelegt zum
modernen Drama, zur modernen Tragödie, die in der That über die
Shakesperes hinausgeht, eine neue Art auf dem Boden eincr neuen
Weltanschauung ist, und er hat es mit lebenskräftigen Werken gethan,
die, in der Gesamtheit gesehen, doch wohl die bedeutendste Leistung
deutscher Dramatik im Geiste, rncht auf den Wegen Shakesperes sind,
soweit sie an volkstümlicher Wirkungskraft vielleicht auch hinter denen
unseres deutschen Lieblingsdramatikers zurückstehen.

2ldolf Bartels.

Sckulgesang fürs Leben.

Jn einer Aussprache über die Erziehung der Jugend durch die
Kunst drehte sich jüngst das Wortgefecht um die Reform des Zeichen-
unterrichts. Da holte einer ihrer Gegner zu einem vernichtenden Schlage
aus. Triumphierend sprach der Beschützer des Alten: „Wenn man
solgerecht sein will, mutz man auch nll dic anderen Fächer, welche
mit der Kunst etwas zu thun haben, nach künstlerischcn Anforderungen
umgestaltcn, und das ist doch Unsinn! Jch denke dabei an den Gesang-
unterricht, den Unterricht im Aufsatz u. s. w." Jubelnder Beifall sciner
Freunde lohnte den Helden. Und der Herr hatte auch vollkommen recht:
man erzieht nicht zur Kunst und durch die Kunst, wcnn man ein ein-
zelnes Unterrichtsfach, etwa den Zcichcnunterricht, sei es auch von künst-
lcrischen Gesichtspunkten aus, umgestaltet. Man erzöge ja auch nicht
zur Sittlichkcit, wenn man das siebente Gebot mit Menschen- und
Engelszungen traktierte, und lietze Gesinnung Gesinnung sein.

Sprechen wir heute ein Wort über die Neugestaltung des Schul-
gesanges und die Wiederbelebung des Volksgesanges. Die Mcthodiker
geben als Lehrstoff Choräle und Volkslieder an. Die Schulliedcrbücher
des 19- Jahrhunderts bieten denn auch ein-, zwei- und dreistimmige
Volkslieder — Lieder, die sie für Volkslieder halten, die es aber gewöhn-
lich nicht sind —, und in einem Anhang einige Choralmelodien. Sie ändern
sich allmählich und unmerklich mit dem Zeitgeschmack. Znr Zeit der
moralischen Erzählungen sang man:

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2. 5-eptemberheft 1902
 
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