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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1902)
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Gregori, Ferdinand: Liebhabertheater
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0160

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I^iebkadertkeÄrsr-"

Jch besinne mich noch ganz genau auf die ersten Jndianer, die
ich im Zoologischen Garten sah. Wir umstanden, mehrere Schulklassen
stark, den umzaunten Platz, auf dem sie tanzten und sangen, in der
Runde ritten und nach hochgeschleuderten Bällen ihre Pfeile abschossen,
wo auch ihr Wigmam lag, ii: das sie sich endlich zurückzogen. Mit
gierig-lcuchtenden Kinderaugen sogen wir all die Seltsamkeit ein, und
als wir in turnerischer Ordnung, die nötigen Kulturwächter an der TZte
und Qucue, die wildcn Söhne dcr Prürie verließen, saßen sie trotz der
peinlichsten Uebcrwachung, die unsere Lchrer geübt hatten, so fest in
unsern rotglühenden Kindsköpfen, daß wir von Stund an und nicht nur
des Nachts von ihncn träumten, sondcrn auch tagsüber währcnd des
heiligsten Unterrichts. Es dauerte nicht lange, da sammelte jeder mit
Eifer Hühner- und Gänsefedern, und der indianische Kopfputz feierte seine
europäische Wiedergeburt auf unsern, leider kurz geschnittenen Haaren,
die so gar nicht geeignet waren, den medusenhaft schrecklichen Eindruck
der Jndianersträhncn zu machen. Papierschnitzel wurden wie sonst bei
den Schwänzen der Herbstdrachen zusammengeknotet und um Leib, Arme
und Beine gelegt, den verschlissensten Hosen nähten wir statt der zivili-
sierten Galons bunte Fransen an, die wir frech unserem Stubenteppich
ausrissen. Ein besonders geschickter und aufmerksamer Beobachter sügte

* Wir möchtcn von vornherein ausdrücklich darauf hinweisen, daß die
solgenden Worte, die trotz ihres vergnüglichen Plaudertons ernste und manchen
wohl unangenehme Wahrheiten sagcu, keineswegs allen Aufführungen von
Dilettantcn geltcn sollen. Vorstellungcn, wie sie manche „freie Bühnen" ge-
geben haben (gleichviel ob sie sich so oder anders nannten), um mit Hilse vou
Dilcttanten größcrcn Kreisen dic Bckanntschaft cines sonst nicht zugänglichcn
BühnemverkS zu vermitteln, Festspiele, Volksschauspiele, wie die von Ober-
ammergau oder auch die in ihrer Art höchst erfreulichen der Schweiz, dercn
eines Gottfried Kcller so hcrrlich bcschrieben hat, hätten selbstverständlich dnS
Recht auf einc Betrachtung unter ganz anderen Gesichtspunkten, die auch zu
ganz andcren Ergebnissen sühren müßtc.

Kunstwart 2. lNaihcst 1902
 
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