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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1902)
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H. F.: Gute Romane
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0218

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Gule Rornane.

Romantik, Realismus, Heimatkunst, heutzuge drei geläufige Worte,
die den Romanen meist gegen den Willen ihrer Väter angeklebt werden.
Trotzdem will auch ich drei Bücher mit diesen Etiketten versehen, weil
nun einmal Ordnung, was man auch gegen die Etiketten selbst sagen
mag, keine schlechte Sache ist.

Riccard a Huch hai einen neuen Roman ausgehen lassen: „Aus
der Triumphgasse" (Eugen Diederichs, Leipzig (902). Die Triumph-
gasse ist ein unsauber italienisch Gäßchen voll Schmutz und Stank nicht
nur in ihren Rinnsteinen, sondern ebenso auch in ihren Menschen. Es
häufen sich Verbrechen aller Art. Was nur immer Armut und Ver-
wahrlosung in wildem Verein zu Stande bringen können, hier geschieht
es. Zola kann nicht mehr schreckliches auf ein paar hundert Seiten
erzählen. Und doch liegen Welten zwischen ihm und Riccarda Huch,
die sich außer im rein Stofflichen nirgends berühren. Schon daß aus
dem Sumpf der Triumphgasse immer wieder Kinder mit reinen Zügen
auftauchen, zeigt eine ganz andere Welt- und Menschenbetrachtung.
„Das bloße Darstellen von Menschen, von Leidenschaften und Handlungen
macht es wahrlich nicht aus, so wenig wie die künstlichen Formen, und
wenn ihr den alten Kram auch millionenmal durcheinander würfelt und
übereinander wälzt/ sagt Friedrich Schlegel. „Der milde Widerschein
der Gottheit im Menschen macht ein Buch romantisch und macht es
überhaupt erst zur Dichtung . . . Das romantische Buch ist ein Meer,
dem der Widerschein der Tiefe oder des Himmels die Farbe, den Cha-
rakter, den Ton gibt." (Vergl. R. Huch: Blütezeit der Romantik.) Das
trifft auf den „romantischen^ Roman: „Aus der Triumphgasse" zu.
Das Symbol eines Jchs, wie die Verfasserin in dem eben genannten
Buch selbst einmal sagt, ist dieser Roman. Und noch eins ist an ihm
durchaus romantisch. .Alles Poetische muß märchenhaft sein", meinte
Novalis einmal. Riccarda Huch selbst legt das so aus: „Wenn man
sich vornimmt, die Lebensläufe verschiedener, beliebiger Menschen nach
Märchenart zu erzählen, indem man sie liebevoll genau betrachtet, die
kleinen, seltsamen Zufälligkeiten und Verknüpfungen sich nicht entgehen
läßt und alles als bedeutend ansieht, so wird man finden, daß jedes,
auch das ärmste Leben so wundcrbar wie irgend ein Märchen ist."
Nun, so hat die Dichterin die Menschen ihrer Gasse gesehn. Aber zugleich
ist auch der Nealismus nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Das
zeigt einmal die Form ihres Buchs, die im Gegensatz zu der der No-
mantiker von damals es nicht ein Chaos bleiben läßt, sondern es zu
einem Kosmos ordnet und rundet, ihm Geschlosstznheit und Einheitlich-
keit verleiht. Das zeigt ferner die scharf umrissene Charakteristik der
Menschen, namentlich der Mädchen und Frauen, sowie die ganz un-
sentimentale Art, mit der fast grausam deutlich und grausam oft die Be-
obachtung gestaltet wird, daß der Mann das Schicksal aller Mädchen
und Frauen aus dcm Volk ist, dem sie wie die Motten zuflattern, unr
an ihm zu Grunde zu gehen, mögen sie auch von Klein auf in der
eignen wie in den Nachbarfamilien dutzendmal es beobachtet und erlebt
haben, daß fast alle Weiber der Triumphgasse vom Mann verbraucht,
vcrnichtet werdcn. Nur eins behagt mir nicht sonderlich an diesem
Runstwart
 
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