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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1902)
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Bartels, Adolf: Friedrich Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0575

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frisärick Hsbbel.*

Man hat es lange nicht wahr haben wollen und bestreitet es heute
noch: Friedrich Hebbel ist der größte deutsche Dichter, der seit Goethes
Tode aufgetreten ist, dcr einzige, der ganz aus eigenen Mitteln lebte.
Und er ist ausgeprägt der Dichter des deutschen Nordens, wie Grill-
parzer der des Südens ist; die Nordsee mit ihrem rauhcn Hauch, ihrem
grauen Gewoge, ihrer unberechenbaren Tücke, aber auch ihrer elemen-
taren Gewalt, ihrer herben Schönheit ist die Amme seiner Poesie, die
ihrem Gesamtcharakter nach echte, erbarmungslose, aber eben darum auch
große, das Menschenherz stählende Tragik ist. Jmmer höher wächst die
kraftvolle, einen Zug des Leidens nicht verleugnende, aber mit gewal-
tigem Willen gegen das Schicksal ankümpfende Gestalt dieses nordischen
Dichters vor seinem Volke empor, immer deutlicher erkennt man, daß
dort, wo man einst Willkür sah, eherne Notwendigkeit ist, daß der Mann
und seine Kunst nicht bloß — das ist bei allen wahren Dichtern der
Fall — zusammengehören, sondern daß sie bis zu jencm verhängnis-
vollen Grade eins sind, wo Dichten beinahe Vcrbluten bcdeutet. Hebbels
Genius ist ein Dümon, dessen dunkle Flügel des Dichters Lebensweg
lange, lange überschatten, aber das unermüdliche Ringen des Poeten
wie des Menschen macht dann den Dämon lichter, milder, und zuletzt
glauben wir in ihm doch den trcuen Eckart zu crkenncn, dcr zu den Höhen
dcr großen, reinen, strengen Kunst emporführt, auf dencn Mode und
Sensation, Erfolg und Name, Erholung und sogenannte Erhebung und,
was den Tagesmcnschen sonst noch Kunst ist, wesenlose Begriffe sind.

Was Hebbel geworden ist, das ist er von Natur, als Erbe des
stolzen, starken, harten, trotzigen Volkstums der Dithmarschcr, dem cr
angehört, gewesen; Lebensumstände, Zeitverhältnisse erscheinen bei ihm
nur als Felsblöcke, die ihm das Schicksal in den Wcg wälzt, die er
fortschaffen muß, nur, um seiner Kraft bewußt zu werden. Leicht fort-
zuschaffen waren sie aber nicht, Hebbels Lcbensgeschichte ist bis ties in
sein Mannesaltcr hinein Leidensgeschichte, und schon auf dcm Antlitze
des Knaben, dem Sohn des armen Wesselburner Maurers, sicher aber
auf dem des Jünglings, der als Schrciber in der Kirchspielvogtei seines
Heimatortes im wahren Sinne des Wortes „dient/ und dem dcs Ham-
burger „Freitischlers," des hungernden Stndenten zu München, des an-
gehenden „Literaten" abermals zu Hamburg bemerkcn wir den düstern
Trotz, der die cinzige Waffe des werdenden Künstlers gegen dic fcind-
liche Welt und das harte Schicksal ist. Zum großen Künstler, zu nichts
anderem war Friedrich Hebbel bestimmt, aber er gehörte nicht zu den
Götterlieblingen, denen eine glückliche Natur und ein günstiges Geschick
die ihrer selbst sichere Entwickelung und ein lebensfreudiges Schassen,
Schmerz und Lust in dem richtigen Verhältnisse glcichsam als Geschenk
des Himmels verleiht, er mußte sich als Mensch wie als Künstlcr jeden
fußbreit Boden erkämpfen, mußte an Welt und Menschheit und seinem

* Die folgende Arbeit ist dem eben bei Ed. Avcnarius (Goldbeck) in
Leipzig erschienenen zweitcn und abschlicßendcn Bande dcr „Gcschichte der
deutschcn Literatur" von Adolf Bartels entnommcn. Da wir Besprechungen
der Werke von Mitarbeitern nicht bringen und Bartels auch auf eine Selbst-
anzeige verzichtet, so muß die Probe genügen. Aw.-L.

Aunstwart
 
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