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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 13 (1. Aprilheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Vom "deutschen Volks-Schillerpreis"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0024

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Vorn „cieutscken Vo!k8-8cki!lerpreis."

Man soll mit ironischer Sprechweise vorsichtiger sein. Als ich in der
kleinen Rundschaunotiz fürs vorige Heft schrieb, was der Berliner
Goethebund in seinem Aufruf um den „Deutschen Volks-Schillerpreis'
sagte, sei ja „schön und gut/ aber u.s. w. . . . , als ich das schrieb, dacht'
ich nicht, daß man meinen könnte, ich fänd' es wirklich gut und
schön. Mittlerweile ward der Aufruf in vielen Zeitungen abgedruckt.
Lassen auch wir uns von seinem Deutsch nicht abhalten, ihn zu lesen.

„Deutschlands dramatische Dichtung hat in den letzten Jahrzehnten durch
den politischen und kulturellen Aufschwung der Nation, durch die Loslösung
von fremdländischer Geistesherrschaft und ein energisches Sich-auf-sich-selbst-
besinnen das Reich ihres Wirkens in bedeutsamer Weise erweitert und sich
mit neuen künstlerischen Formen zugleich auch neue, ticf in das Leben des
Volkes eindringende Stoffgebiete erobert.

Die gedeihliche Fortentwicklung des deutschen Dramas crscheint heute
nicht blos als eine Forderung schöngeistiger Jnteressen, sondern weithingreifend
als eine Frage des Volkswohls.

Wenn auch das freie künstlerische Schaffen seinen besten Lohn in stch selbft
findet, muß es uns doch im Hinblick auf andere Kunstgattungen und den
edlen Brauch unserer Nachbarn beschämen, datz dem deutschen Dichter in seinem
Vaterlande öffentliche Ehrungen versagt sind, die alle Stimmen des Beifalls
und Dankes zum einhelligen Spruch zusammenfassen und ihm das Gelingen
bestegeln.

Der einzigen Auszeichnung, die er bis jetzt genietzen kann, dem von
Wilhelm I. hochherzig gestifteten Schillerpreise sind bestimmte Schranken
gezogen. Der König als Spender ist in gutem Recht, wenn er nur ein seiner
persünlichen Kunstanschauung entsprechendes Werk gekrönt sehen will oder
wenn ihm der patriotische Stempel einer Dichtung des gleichen Lohnes würdig
crscheint wie der ästhetische Wert.

Um so stärker regt sich gerade jetzt das Bedürfnis, diesem Dichterpreis
einen vom deutschen Volk gestifteten ergänzend an die Seite zu stcllen.

Schiller, der Heros des deutschen Dramas, der Volksdichter im edelsten
Sinn, das stolze Vorbild sür jene Selbstherrlichkeit des Schaffens, die allein
von dem eigenen Künstlergewissen Recht und Gesetz empfängt, wird in
wenigen Jahren das erste Jahrhundert seiner Unsterblichkeit vollcndct haben.
Der plattcn Mittelmätzigkeit feind, war er durchdrungen von dem steten freien
Fortschritt aller lebendigen Kunst.

Es wär' ein eitel und vergeblich Wagen,

Zu fallen ins bewegte Nad der Zeit.

Wir glauben seinen nahen hundertsten Todestag nicht besser feiern und
zugleich dem Gedanken, der unseren Bund ins Leben gerufen hat, nicht er-
sprießlicher diencn zu können, als indem wir alle kunstliebenden deutschen
Männer und Frauen aufrufen, einen

Deutschen Volks-S chillerpreis
zu gründen, der in regelmätzigen Zeitabschnitten von ciner frei waltenden
Jury dem Schöpfer des besten deutschen Dramas zuerkannt werden soll.

Das Volk in allen Schichten soll der Stifter sein. Deshalb ist auch das
klcinste Scherflein willkommen.

— lt

t- Aprilheft tS02
 
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