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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 20 (2. Juliheft 1902)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0402

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wenn auch vergeblich, sich von der Erde zu erheben. Er hatte, wie sich heraus-
stellte, die Sprache verloren, und er schisn rnit seinen thränengefüllten Augen
die Umstehenden irgend etwas zu fragen und irgend jemanden in der Menge
zu suchen, doch erhielt er keine Antwort und fand auch niemand.

Gegen Abend starb er, und sie begruben ihn da, wo sie ihn gefunden
hatten, unter der Schwarzpappel; sie meinten, daß es nicht angehe, ihn auf
dem Friedhof zu bestatten, da er erstcns ein Fremder, zweitens ein Dieb und
drittens ohne Buße gestorben war. Nebcn ihm im Schmutz fand man den
vermißten Dolch nnd das Tüchlein.

Und zwei oder drei Tage darauf wurde auch Lenka gefunden.

Ueber einer Steppenschlucht, nicht weit vom Dorfe, hatteu sich Scharen
von Raben versammelt, und als man hinging, um nachzusehen, was es gäbe,
fand man den Knaben, der mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht nach
unten, in einer Pfütze lag, die auf dem Grunde dcr Schlucht nach dem Regen
übrig geblieben war.

Zuerst ward beschlossen, daß der Tote, da er ja noch ein Kind war,
auf dem Kirchhof bcgraben werden sollte. Nach reiflichen Ueberlegen jedoch
entschied man sich dafür, ihn gleichfalls unter der Schwarzpappel zur Ruhe
zu betten.

Einen Erdhügel schüttete man auf, und darauf ward ein Kreuz gesetzt,
ein rohes steinernes Kreuz.

Kunäscbau.

luterLtur.

* Romanevon Ottomar Enking.
(Jkariden, 2 Bde., Dresden, Reißner.
Nis Nielsen, , Bd„ Köln, Albert Ahn.)

Nach diesen beiden Büchern gehört
Enking zu jenen ernsteren Unterhal-
tungsschriftstellern, deren Begabung
weit genug reicht, um neue Zeitge-
danken und -Probleme wenigstens
anzugreifen und sie mit solider Welt-
und Menschenkenntnis ein Stück weit
zu entwickeln. Jn den „Jkariden" wird
erzählt, wie ein Pfarrer von beschei-
denem Geist und ehrlichom Gemüte
durch die stärkere Persönlichkcit seines
Weibes aus dem stillen Amt hinaus
und allmählich in die Oeffentlichkeit
gsdrängt wird; nach übcln Erfah-
rungen aber lcnkt das Paar zu fried-
lich sozialem Wirken aus der Wcite
in die Enge zurück. Uebertreibungcn,
namentlich im episodischen Beiwerk,
stören wohl, das unnötige Aus-
kramen ehelicher Jntimitätcn verdricßt,
die Ausführlichkeit, mit der viele
Runstwart

Zustünde geschildert werden, er-
müdet auch dann und wann, weil
häufig nur ohne Zweck wiederholt
wird, dennoch ist in der Pastorin ein
neuer Frauentypus wenn auch uicht
erschüpfend, so doch im allgemcinen
glaubhaft dargestellt. Knapper und
wirksamer erscheint die Geschichte von
„Nis Nielsen," dem Muttersohn und
subalternen Monschen, der „Bangbüx"
von Beruf; zwischen Mutter und Weib
gestellt, reibt er sich auf. Hier wie in
den „Jkariden" gibt es recht anschau-
lich beobachtetes schleswig-holsteinisches
Kleinstadtmilieu, das von Enking mit
leichter Ueberlegenheit trocken humorig
geschildertwird, nicht tief noch weit, aber
ehrlich und anspruchslos. Der Wert
von Büchern wie diescn beruht wesent-
lich auf ihrer Wirksamkeit des Ver-
mittelns; sie sind am ehesten geeignet,
den Unterhaltungsbedarf zu decken,
zugleich aber vom romanhaft Scichten
abzuleuken und den Wunsch nach nahr-
hafter Kost zu stärkcn. L. R.

— zsa
 
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