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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 23 (1. Septemberheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0536

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I^ose Vlätter.

„flastors Riekc" von 6rrck 8cklaikjer.

Vorbemerkung. Wir haben „Des Pastors Rieke" von Erich
Schlaikjer als das Werk eines Mitarbeiters nicht besprochen. besprechen
wollen wir's auch heute nicht, da aber die Vorführung des Stückes
durch das Dresdener Hoftheater nach ziemlich einstiminigein Urteil
den besten Erfolg der „Meisterspiele" in Berlin bedeutete, so wollen
wir auch unsere Leser wenigstens darein blicken lassen. Als Ein-
führung und Vorbemerkung aber möchten wir eine kleine Studie
Fricdrich Naumanns abdrucken, die, in seiner „Zcit" erschienen, auch
keine Rczension dcr Komödie, wohl aber sehr feinsinnige Betrachtungen
übcr ihre Hauptperson enthält.

„Jch rede über das", schreibt Naumann, „wopon ich nach ineiner
Vergangenheit aus eigener Erfahrung reden kann, über den in der
Mitte des Stückes stehenden sozialen Pastor Hans Dahl, nur über
ihn. So falsch es ist, wenn mehrere Besprechungen diesen Pastor als
nationalsozial bezeichnen, so gehört er doch in einen Lebenskreis hinein,
aus dem mehrere von uns herausgewachsen sind. Hans Dahl ist völlig
unpolitisch, cin Freund der Arinen, kein Parteimann, ein auf sich
allein gestellter Jdealist. Als solcher ist er durch und durch lebens-
wahr, aber das große Publikum begrcift ihn nicht als wahr, weil
es von der geistigen Disposition, aus der er entsteht, zu wenig kennt.
So oft in der neucren schönen Litcratur der soziale Pastor anch auf-
getaucht ist, so wenig können ihn Weltleute erfassen. Sie sehen ihn
alS Merkwürdigkeit wie ein Tier ans dem zoologischen Garten, ihr
Hcrz ist aber nicht bei ihm, sondern bei seincr Halbschwester Dagmar,
die ihn als krank, närrisch, kompromittierend cmpfindet. Dasz Schlaikjer
es gewagt hat, eine solche Person nicht in einer Tragödie breiten
Stiles, sondern in einer knappen naturalistischen Komödie dem Pub-
likum zn bieten, ist kein ganz gewöhnlicher Vorgang. Wäre er der
Theaterproduzent, als den ihn unfreundlichc Kritik hat hinstellen wollcn,
dann hätte er nicht ein Jahr an diesen scltsamen Pastor gcwendct.
Freilich erschwert die naturalistische Darstellungsweisc die Erkcnntnis
der Triebkräste einer solchen Natnr, die nicht aus alltäglichen Vor-
bedingungen entsteht. Früher trngen die Menschen auf der Bühnc
ihre enthülltcn Seelen in schön geschliffenen Glaskästen Vvr sich her,
jetzt aber wird verlangt, dafz inan sich selber ans allerlci Strichcn,
Klexen und Farben ihr Seelenbild zurcchtphantasiert.

Der junge Pastor Hans Dahl ist erstens sehr gcsund, zweitens
ganz aristokratisch erzogen, drittens ästhetisch feinfühlig, viertens von
gewaltigcm sittlichen Pathos fortgerissen. Wer cins dicser Elemente
wegläßt, verliert seine Gestalt. Man denke an von Zinzendorf, den
Gründer der Herrenhuter Gemcinde, an von Zetzschwitz, den Erlanger
Theologen, an von Bodelschwingh, den Vater der Bielefelder Licbes-
werke, und zwar denke man sich diese Männer jung, blutjung, zwci
Jahre hintcr der Kandidatenzeit, in ihrem ganzen ersten grünen
goldenen Frühling! Es ist zwar bürgerliche, ungeadelte Aristokratie,
der Hans Dahl entspringt, abcr das macht nicht viel aus, es ändcrt
nur insofern etwas, als das religiösc Element allein in seiner früh-
Runstwart

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