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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 22 (2. Augustheft 1902)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0499

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Kuncksckau.

Lileralur.

* Vom Dilettantenstil sagte
unser Mitarbeiter Carl Spitteler
vor einiger Zeit allerhand in der
„Neuen Züricher Zeitung/ was zwar
zunächst sür Schweizerische Verhältnisse
angepaßt, aber wenigstens im Auszug
auch sür uns Deutsche sehr nützlich und
gut zu lesen ist:

Woran erkennt man sofort den
Dilettanten? Nicht wie er meint, an
Sprachfehlern, sondern an Geschmacks-
fehlern.

Dem Dilettanten, weil er nur aus-
nahmsweise schreibt, ist es ein Ereig-
nis, wenn er zwanzig Zeilen in eine
Zcitung setzt. Er meint demgemäh,
etwas Auherordentliches leisten zu
müssen, und indem er zu diesem Zweck
seinen Geist aufhetzt, hat er schon einen
Hauptfehler begangen, nämlich Ein-
fachheit, Natürlichkeit und Sachlichkeit
verloren.

Der Schriftsteller von Berus oder
Erfahrung und ebenso jeder bedeutende
Mann cines jeden andcrn Berufs sagt,
was er zu sagen hat, deutlich und bün-
dig, und damit fertig. Das scheint
selbstverständlich und leicht. Und doch
ist das so selten, dah wenn ich irgend-
wo eine gesunde, gerade Abhandlung
über irgend ein Thema, und wäre es
das trockenste, zu Gesicht bekomme, ich
mich erkundige, was sür cin bedeuten-
der Mensch das geschrieben habe.

Nämlich der Dilettant mutzt alles
auf. Sehen wir, mit was für Mätzchen.
Zunächst rundet er scinen Bericht zu
einem Aufsätzchen ab. Das Ende stimmt
lieblich mit dem Anfang überein, oder
es klingt patriotisch aus, oder stimmt
heimatlich, oder läuft in ein Zitat aus,
und Aehnliches. Solche Abrundungen,
überhaupt den Aufsatzstil verabscheut
ein Schriftsteller. Jm einzelnen ver-
ziert der Dilettant seinen Stil mit
Schnörkeln. Unter diesen Schnörkeln
sind die beliebtesten folgende.

Kunstwart

Die geistreichen Schnörkel, also aller-
hand harmlose Witzchcn und Spähchen.
Namentlich die „Korrespondenzen voin
Lande"' pflegen derart mit Witzchen
umwunden zu sein, dah man ob dem
verdrehten Gethu oft gar nicht mehr
zu verstehen vermag, was der Schreiber
eigentlich mitteilt. Regel: Man sei
nur dann geistreich, wenn man schlech-
tcrdings mit dcm besten Willen nicht
anders kann.

Ferner die poetischen Blümchen, bc-
sonders bei Damen beliebt. Poetische
Blümchen im Prosastil, also z. B. im
Feuilleton und im Brief, sind immer
Unkraut und riechen am ersten Tage
schon altmodisch. Rcgcl: Man werde
niemals „poetisch."

Ferner anmutige, zierliche Wen-
dungen. Harmonische Gedünklein.
Ebenfalls meist weiblichen Geschlechtes.

Ferner der Bilderschmuck, mchr noch
im politischen als im bclletristischcn
Dilettantenstil wütend. Wo dann die
buntscheckigen Dinger gar widerwärtig
mit der abstrakten Vorstellung in Krieg
geraten, selbst dann, wenn das Bild
an sich nicht unrichtig durchgeführt
wird, z. B. „das Schifflein der Eisen-
bahnpolitik in das richtige Fahrwasser
lenken." Was ist das für eine aqua-
tische Brühe auf einerEisenbahni Da
entgleist ja die Lokomotive der Ver-
nunft vor der Ueberschwemmung der
Gedankenschienen! Regel: Wenn man
von abstrakten Dingen handelt, so rede
man ehrlich abstrakt. Solche Dinge
mit loäern Bildern aufmnntern wollen,
das ist, als ob man das schweizerische
Obligationenrecht mit farbigcn Jllu-
stralionen herausgäbe.

Ferner der Schwulst. Man ncnnt
uns wohl „nüchterne Schweizer." Wenn
wir aber schreiben, sind wir eher „bom-
bastische Schweizer." Wir werfen uns
in die Festrednerbrust. Da aber der
Dilettant in demselben Augenblick, da
er sich patriotisch oder moralisch auf-

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