Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1902)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0448

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Liieralur.

Runctsckau.

* „V o r a b e n d/ ein Akt in Versen
von Richard Schaukal (Leipzig,
Herrmann Seemanns Nachfolger).

Nach den Proben, die der Kunst-
wart im ersten Maiheft vorigen Jahres
von derauffallend feinsinnigen,lyrischen
Begabung Schaukals gab, hat mich
das vorliegende kleine Schauspiel doch
ein wenig enttäuscht. Nicht daß Schaukal
als Künstler darin zurückgegangen
wäre; die Fähigkeit anzuschauen und
das Angeschaute plastisch wieder zu
geben sowie ein feines Sprachgefühl
zeigt er trotz einiger Gesuchtheiten auch
hier. Aber was ich von Schaukal
erwartet hätte, nachdem es ihm ge-
lungen war über modische Nachahmüng
hinaus seine eigne Ausdrucks-
we ise zu finden — ein Wachsen, ein
Stärkerwerden des Gehalts der Per-
sönlichkeit selber, das habe ich hier
noch vergebens gesucht. Der „Vor-
abend" schildert, wie ein Mädchen, das
äußerlich am Leben und dem Geliebten
hängt, im Grunde, in ihrem tieferen
unbewußten Sein, von dem toten-
bleichen Geliebten ihrer Seele so
dämonisch beherrscht wird, daß er sie
zu töten vermag, indem er ihr inneres
Wesen zu sich hinüber„zieht". Und
das ganze Stücklein klingt aus in eine
mystische Verherrlichung der „tiefen"
Nacht gegenüber der rohen und
stumpfen Tumpfheit des Tags.

Nun frag ich mich: Wie kann ein
Einsichtiger solche und ähnliche „Sen-
timents," in denen unsre „Vorkämpfer"
sich bezeichncnderweise immer gleich
zu mehreren finden, für etwas anderes
als jene Modeneuheiten halten, die in
regelmäßigen Zwischenräumen frisch
aufgestutzt als das Nochniedagewesene
wiederkehren, währcnd das wahrhaft
Neue in der Stille beim Einzelnen
Gcstalt zu gewinnen sucht? Wie kann
es ein Mann von Geschmack über
sich bringen, diese Flötentöne, von
denen gegenwärtig alle literarischen
Runstwart

Straßen und Gassen widerhallen,
seinesteils nachzupfeifen? Und zu all
dem noch die Flachheit dieser jüngsten
unter den Modenl Gewiß ift es für
die tiefere Bedeutung einer Schöpfung
an sich vollkommen gleich, ob sic sich
mit den Nacht- oder Lichtseiten des
Lebens befaßt: denn in Leid wie in
Lust offenbaren sich genau dieselben
Weltgesetze, verstecken sich dieselben
Dascinsrätsel. Wer aber in die „Nacht"
fliehen muß, weil ihm der „Tag" zu
nüchtern und zu plump erschcint, der
offenbart damit, wenn er nicht etwa
bloß einer augenblicklichen Stimmung
Worte lciht, doch nicht Weite, son-
dern Beschränktheit. Als ob der hellste
Tag und das grellste Leben weniger
vom Urgeheimnis hätten, als das
Dunkell Wessen Nervcn den vollen
Reiz des Lichtes nicht mehr ertragen
können, der braucht darum noch nicht
tiefer und feiner, er braucht bloß
schwächer oder verzärtelt zu sein, und
Gespenstersüchtelei hat mit der Ehr-
furcht vor dem Unfaßlichen nicht mehr
zu thun, als Aberglauben mit tieferer
Religiosität. Es würe schade um die
ungewöhnlich biegsame Ausdrucks-
fähigkeit Schaukals, wenn sie uns nicht
mit dcr Zeit einen reicheren Gchalt
zu übermitteln hätte.

Leopold webcr.

* Der Prozeß wegen jener Gottes-
lästerung, die dcrUebersetzerLoewen-
feld und der Verleger Diedcrichs durch
Herausgabe d^er Tolstojschen Aertei-
digungsschrift gegen den hlg. Synod
begangen habcn sollten, ist mit einer
Freisprechung der Angeklagtcn in Leip-
zig leider Gottes immer noch nicht aus
der Welt geschafft worden. Der Staats-
amvalt hat Revision beantragt. Daß
es trotzdem zur endgültigen Frei-
sprechung kommen muß, bezweifelt
niemand, daß die Anklage überhaupt
erhoben werdcn mußte, haben viele
bezweifelt. Wir wollcn all die Er-

zoe —
 
Annotationen