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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 13 (1. Aprilheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Vom "deutschen Volks-Schillerpreis"
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Batka, Richard: Vom deutschen Balladengesang
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0026

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dings nicht etwa nur die poetische, noch auch nur die künstlerische, sondern
die gesamte geistige Arbeit der Nation als ihren Stoff zu betrachten
hätte. Von einem Wirken für solche Ziele durch den Goethebund von
Berlin hab ich noch nichts gehört. Oder soll's heißen, einen Anfang
machen, daß er gerade die Theaterschriftsteller ehren will? Die Theater-
schriftsteller, für deren Einkommen wie für deren Eitelkeitsgenuß so gut
gesorgt ist, wie nur bei irgend wem in der Welt? Er will sie „ehren,"
d. h. er will die unsachlichen Einflüsse, wie sie außer durch Geld gerade
durch Eitelkeitsgenuß mit Titeln, Orden, Medaillen u. s. w. ausgeübt
werden, durch ein neues Eitelkeitsfutter vermehren? Wir bedauern, uns
dafür nicht erwärmen zu können.s A.

Vom äsulscksn kallaciengesang.

Neulich hörte ich einen berühmten Sänger Loewes »Herr Oluf"
im Konzert vortragen. Es war geradezu peinlich. Das blühende Leben,
die plastische Anschaulichkeit der Komposition — wie weggeivischt. Alles
lyrisch versäuselt, der tapfere Oluf zu einem süßlichen Minnebold, seine
Mutter zu einer kläglichen Winslerin gemacht und aus ihrer im zarten
pp gehaltenen Rede „Sag' an mein Sohn und sag' mir gleich" das
letzte Wort plötzlich forte herausgestoßen, weil — ja, nun weil der Herr
Kammersänger doch sein prachtvolles, sonores a hören lassen will. Wenn
so etwas sogar am grünen Holze geschieht, dann ist es traurig, allzu-
traurig. Es ist, als hätten Meister des epischen Vortragstils wie Gura
als ausübender Künstler oder Plüddemann als Lehrer nicht gelebt, und
mehr als je empfindet man, wie wenig die Mitwelt das Wirken solcher
Männer verstanden hat. Plüddemann ist elend zu Grunde gegaugen,
Gura wurde zwar alleuthalben als großer Balladensünger gefeiert,
aber eine Schule hat er nicht gemacht, und selten hat sich wer die
Mühe genommen, seine Kunstmittel im Einzelnen zu beobachten und
zu Nutz und Frommen Anderer aufzuzeichnen. Das Persönliche seines
Vortrags natürlich bleibt unnachahmlich. Aber die Stilgesetze der Sing-
ballade, die er vielleicht unbewußt, mit genialem Jnstinkt befolgte, die
hätte man ihm wenigstens absehen können. Unterdeß werden in unseren
Konzerten noch, ja fast immer Balladen so erbärmlich im Vortrag ver-
griffen, wie in jenem bestimmten Falle, von dem ich ausging.

Es gibt gute Menschen und zugleich vortrefsliche Musiker, die sich
aus der ganzen Gattung der Ballade nicht viel machen, und welche
meine bezügliche Klage darum nicht sonderlich beivegen dürfte. Mit
ihnen über diese Geschmacksache zu streiten wäre hier zwecklos, und
schließlich werden auch sie zugeben, daß bei der reichen und wertvollen
Literatur, die wir nun einmal in dieser Gattung besitzen, ihre Ver-
nachlässigung nicht cben wünschenswert erscheint. Und darum verweise
ich an dieser Stelle nochmals mit allem Nachdruck auf Martin
Plüddemann und seine Balladenhefte, deren Vorreden, wenn man
absieht von einigen polemischen Ausschweifungen, die nun einmal bei
Plüddemanns stürmischem Wesen nicht ausbleiben konnten, so viel kostbare
Winke über echten epischen Gesangstil enthalten und deren Notenteil
eine stattliche Anzahl von Balladen aufweist, die das allerbeste sind,

I. Aprilheft Z902
 
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