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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 18 (2. Juniheft 1902)
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Batka, Richard: Richard Wagners Schriften
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Bartels, Adolf: Julius Grosse
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0271

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errungenes, ruhiges Besitztum keinen Anlaß zur Erregung mehr odcr
ist durch anderc brenncnde Fragen abgelöst worden. So hat der ganzc
Gedankenkomplex, der mit der Bewegung von s84:8 zusammenhängt,
heutc nur noch ein geschichtliches Jnteresse, und die Fäden, die von
Wagners Schristcn zum Vegetarismus, zur Regenerationslehre u. s. w.
hinüberleiten, sind auch von Wagners treuesten Anhängern nicht als
strcng verbindliche betrachtct worden. Dafür ringen wir mit Problemcn,
die unsern Vorfahren noch keinerlei Kopfschmerzen bereitetcn, auf die
uns der Meister keine oder nur halbe Antworten gibt, die geistige Ent-
wickclung geht, wenn auch kein Weltgenie als Fackelträger voranschreitct,
ihrcn Gang weitcr, ja selbst das Bleibende in der Erscheinungen Flucht
stellt sich nach und nach in anderem Lichte dar. Wir meincn oft das-
sclbe aber wir drückcn es nicht seltcn ein bischen andcrs aus. Und
wcnn die Konscroativen Wagner vornehmlich in seinen Züricher Schriftcn
bckämpsen und dic Orthodoxie die Bayreuthcr Aufsätze in jden Vorder-
arund rückt so wird in der Wertschätzung der Zukunst vermutlich die
Münchner Schriftengruppe den höchsten Rang emnehmen. Das Empfin-
dcn des beginncnden zwanzigsten Jahrhunderts antwortet freilich lang-
sam auf das grohe Pathos Schillers und Wagners, es s rebt aus den
wolkiqen Höhen des Gedankenflugs wieder emmal m die fichcrcn Niede-
rungen der Jnduktion. und so scheint mir dürste man bald ansangen,
wie bisher nicht nur zur Erklärung der Werke die Schristen heranzu-
ziehcn, sondern viclmehr umgekehrt. d,e Schristen bis ,n alle Emzel-
heiten durch die Werke zu interpretierm Jn diesem cngen Zusammen-
l ange sich wcchsclseitig erhellend, werden Werke und Schristen des grohen
Mcisters wohl cine doppelte Leuchtkraft für die kommendc Zcit noch ge-
winnen. Richard Ratka.

IuUus Srosse.

Am 9. Mai ist am Gardasee Julius Grosse gcstorben, also am
Todestage Schillers, was Leuten, die Spiele des Zufalles höher ein-
schätzen sehr merkwürdig erscheinen wird, denn Grossc war seit mehr als
dreihig 'Jahren Generalsekrctär der deutschen Schillerstiftung und lebte
im Schillerhause zu Weimar. Er war auch cin idealistischer Dichter wie
Sckiiller doch wenn man auf diesen Begriff hin die beidcn Dichtcr ver-
ck>en' wollte, so würde man bald erkennen, dah sich sehr Verschieden-
artiacs unter ihm vereinigen läßt: der Jdealismus der Grosseschen
Nnesie beruht wesentlich aus dem Ueberwicgen der Phantasie in dem
Dichtcr was sich von dem der Schillerschen sicherlich nicht aussagen
läßt Jch habe Grosse, den ich seit vierzehn Jahren persönlich kannte,
und mit dem ich sechs Jahre lang näher verkehrt habc, immer sür eine
sebr merkwürdige dichterische Persönlichkeit gehalten, und wer auch nur
seine Selbstbiographie Zlrsachen und Wirkungen" gelesen hat, wird mir
rccht gcbcn: er ließ, was in unserer Zeit auch beim Dichter nicht eben
mchr häufig ist, sein ganzes Verhältnis zu Welt und Leben durch seine
Phantasie bestimmcn. Jch weiß wohl, man nennt die Dichter, die
Künstler überhaupt .Phantasiemenschen,' und niemand wird leugnen,
dah die starke Phantasiegewalt das Erste zum Schaffen ist, aber anderer-
seits haben wir nun längst crkannt, dah der Dichter, wenigstens der

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