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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 21 (1. Augustheft 1902)
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Bürkner, Richard: "Kirchlicher Stil"
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0432

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Heimatkunst sein und nicht ein Abklatsch alter Denkmäler. Den ver-
gangenen Stil können wir nur schwüchlich nachäffen. Niemand steigt
zweimal in denselben Fluß, thut er es zum zweiten Male, so ist es
anderes Wasser geworden, das erste rann längst dem Meere zu weiter.
Kunststile sind die Kinder ihres Zeitalters. Wic können wir im rechten
Sinne gotisch und romanisch bauen, da wir doch den Geist dieser Zeiten
nicht mehr habcn? Denen nachzuahmcn, die vor langen Jahrhunderten
unter ganz anderen Lebensbedingungen und unter ganz anderen Glaubens-
sormen fühlten und bildeten, ist im letzten Grunde nichts als erschreckende
Ohnmacht und Ancmpsinderei. Wir wollen auch unsere Kirchen im
Geiste unserer Tage und mit ihren Formen bauen. Schon hat das
Beispiel der neuhergestellten Kreuzkirchc in Dresden offenbar gemacht,
dah selbst die Formen der neuesten Stilbewegung dcm gottesdienstlichen
Raume mit schönem Erfolge dienstbar gemacht werden können. Mögen
andere diesem Vorbilde folgen! Aber dazu gehören offene helle Augen,
die das Leben nicht nur im Mittelalter sehcn und denen „kirchlich"
etwas anderes und besseres ist als gotisch und romanisch. Hoffentlich
bringt uns Schultze-Naumburg auch von Kirchenbauten bald mehr Bei-
spiele und Gegenbeispiele. Nichard Bürkner.

I^o8e VlLtter.

Zus llen Oicklungen von dkikoiaus Lenau.

Vorbemerkung. Wessen bewußtc Jugend in die Zeit dcs großen
Krieges oder in die achtziger Jahrc fällt, der weiß, wie viel mehr Lenau da-
mals als heute galt. Der erste Liebling der Erwachenden und Erwachsenden
zwar war vor drei und noch vor zwei Jahrzehnten Heine, neben ihm als dem
geistreichen Spötter stand aber recht in der Nähe auch Lenaus dunkles Bild. Die
neueren Dichter waren Akademiker für uns, jene beiden empfanden wir als
Vertreter des Modcrnen, soweit wir noch nicht zu Hebbel und Ludwig, zu Mörike
und Keller herangereift waren. Seitdem ist der Weltschmerz „aus der Mode"
gekommen, besser gesagt, er ist indioidueller geworden: er erzeugt sich in dcn
Einzelnen noch, soweit Anlage und Schicksal ihn bilden mügen, aber er ist keine
Zeitsuggestion mehr, deren Ansteckung irgendwie auch zu den Frischesten
gelangt. Aber nicht das allein hat Lenaus Einfluß entgegengearbeitet. Es
ist doch wohl auch eine Entwicklung des kritischen Urteils, waS uns hcute zu-
mal vor seinen größeren Dichtungen kühler empfinden läßt; der Wirklichkcits-
sinn, die vertiefende Kraft, dcr wcite Umblick von Dichtern wie Hebbel,
Keller und den großen fremden Realisten einerseits Irugen dazu bei, und
anderseits that es das wachscnds Vcrständnis für die feinen Wunder in
der Lyrik Mörikes, für das visionäre Gestalten in der Kellers. Lenaus
sich so vielfach, und oft mit denselben Bildern wiederholende Schwer-
mutsträumerei erschien dancben monoton und da und dort beinahe manieriert
und schematisch, zumal sich auch sein rhythmisches Gefühl nur seltcn zu der
Höhe entwickelte, die es z. B. in seinen „Schilfliedern" zcigt. Diese „Schilf-
lieder" haben wir aber doch eben auch — werden auch sie vergehen? Wir
glauben, damit hat's noch gute Weile! Und bei ihrcr Wandcrung durch die
kommenden Jahrzehnte werden sie immer noch von manchcn Geschwistern be-
gleitet sein. Die Zeitstimmung hat sich srüher gar zu einscitig an Lenaus
weiche Lieder gehalten, cr hat aber auch kräftige geschrieben — man lese in
Runstwart
 
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