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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1902)
DOI Artikel:
Kalkschmidt, Eugen: Freie Bücherhallen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0415

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^reie VücderdLtten.

Wir haben in Deutschland eine ganze Anzahl gesetzlicher Bestiin-
mungen, die aus sozialem Geiste heraus zum Schutz der wirtschaftlich
schwächeren Klassen ins Leben getreten sind. Gewiß bedeuten sie erst
noch Anfänge, aber doch Anfänge, mit dencn wir dem Auslande teils
schon zuvorgekommen, teils heute noch überlegen sind. Man denke an
die Alters- und Jnvaliditätsversicherung, an die Schutzvorschriften für
die Arbeit in Fabriken usw., an die Sonntagsruhe und den Neun-Uhr-
Ladenschluß. Ueberall sehen wir immerhin das Bestreben, die äußere
Wohlfahrt des Menschen, allerdings vorwiegend des Stadtmenschen,
zu bessern, soweit dies durch Gesetze geschehen kann. Umso verwunder-
licher muß die Sorglosigkeit erscheinen, mit der man bei uns die
innere Wohlfahrtspflege behandelt hat, bei uns, dem Bolke der
ältesten allgemeinen Schulbildung. Es ist sehr leicht und angenehm,
sich an dem Bewußtsein zu sonnen, daß beispielsweise Jtalien heute
noch (lM) Analphabeten unter den Männern 2(,9 Prozent, unter den
Fraucn gar 57,5 Prozent zählt, währcnd in Preußen (898/99 unter den
neu cingestellten Rekruten nur (5H Mann — das waren 0,09 Prozent
der Gesamtheit — nicht lesen und schreiben konnten. Aber wir sollen nicht
dahin sehen, wo es schlechter, sondern dahin, wo es besser bestellt ist
als bei uns, damit wir vorwärts kommen. Und da wird uns denn,
wenn wir nach England, mehr noch, wenn wir nach Amerika sehen,
erschreckend klar, daß man dort den Wert der allgemeinen Volksbil-
dung doch ganz anders erkannt und sie nachdrücklich zu fördern ganz
andere Mittel aufgewendet hat, als bei uns. Denn dort sorgen nicht
nur Gewerbe- und Fortbildungsschulen für die berufliche Weiterbil-
dung des Nachwuchses, dort ist seit Jahrzehnten cin geradezu groß-
artiges System freicr öffentlicher Büchereien (pudliL librawiöL) in dcr
Entwickelung, eigens dazu bestimmt, die selbstündige Allgemeinbildung
des Menschen, der der Schule entwachsen ist, ohne alle Umstände und
Kosten zu ermöglichen, oder auch, ihm für seine Berufsarbeit alle
Runstwart 1. Augustheft 1902

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