Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1902)
DOI Artikel:
Schultze-Naumburg, Paul: Kulturaufgaben: Arbeiterkolonieen bei Städten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0380

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RullufÄufgaben.

Arbeiterkolonieen bei 2tädten.

Die bisher gezeigten Beispiele warcn dem ländlichen Betriebe cnt-
nommen. Handelt es sich um städtische Arbeiterkolonieen, so verändern
sich die Verhältnisse nur ganz mcnig. Das Prinzipielle des früher Ge-
sagten hat auch hier dieselbe Geltung.

Arbeiterkolonieen werden errichtet weit draußcn vor den Städten,
halb auf dem Lande. wo der Bodcn noch billig ist. Das ist gut. Je
weiter sie sich vom Weichbild der heißen Großstadt, dic allcs meilcnweit
in ihrem Umkreise zu versengen scheint, entfernen, um so besser. Man
hat große Gebiete erschlossen, Wiesen, Felder, die sich an Wäldern hin-
ziehen, aus denen noch frische reine Lust herüberwcht. Durch zahlreiche
Vorortbahnen hat man alles leicht zugängig gemacht, und nun hat man
es in der Hand, endlich, endlich einmal wirkliche Heimstättcn entstehen
zu lassen. Aber was thut man? Man baut, ohne darüber nachzudcnken,
welche Wirkungen die Bauformen haben müssen, immer von Neuem diese
lieblosen Kästen und verlegt hier hinein künstlich das traurige Elend der
Großstadt. Man will menschenbeglückcnde Stätten schasfcn und errichtet
traurige Kasernen, in dcnen die Lebcnsfreude verkümmert und erstirbt.
Man wird einwenden, das Spstem unserer Arbeiterkolonieen stecke noch
in den Kinderschuhen. Aber es könnte ja längst vollendet sein, wollte
man die ganze Frage nur ernsthaft überdenken und sich dann zu den
richtigen Vorbildern wenden. Wenn man wirklich sähe, was man an-
gcrichtet hat, so würde man bckennen: allerdings, das habe man nicht
gewollt. Aber man sieht und merkt es ja gar nicht. Wo wäre der
Sehende? Bei den Arbeitern etwa? Wir könncn ganz sicher sein; vor-
läufig wollen die Arbeiter selbst es auch gar nicht anders. Deshalb
sollten Alle, die es mit ihnen gut meinen, immer von Neuem darauf
hinwirken, daß ihnen die Nugen geöffnet werden. Wie lange sollen noch
weiter „Orte des Grauens" entstehen, wo für dasselbe Geld freundliche
Gartenstädte aufwachsen könnten?

Die Verschiebung der Verhältnisse in der Kolonie gegenüber dem
ländlichen Arbeiterhause liegt, wenn man die Gesamtanlagen betrachtet,
vor allem darin, daß das ländliche Haus zumeist ein Einzelhaus für
sich darstellt, das von allen Seiten frei ist, während es bei der Kolonie
darauf ankommt, Straßenzüge zu schaffen. Natürlich soll auch hier
nach Möglichkeit das Haus von allen vier Seiten frei sein. Jch habe
eine Reihc von Vorbildern hierfür, die den Unterschied im Bilde genauer
demonstrieren, aufgenommen und werde sie demnüchst beim Thema
„Stüdtebau" vorführcn. Hier zunächst noch einiges über die Häuser selbst.

Abb. Hs ist in eine alte Schifferkolonie, die um die Mitte des
j8. Jahrhunders angelegt ist. Soweit sie noch ihr altes Gepräge trägt,
ist der Aufenthalt in diesen freicn Straßen, die als Alleen angelegt sind,
zwischen ihren niedrigen, aber behaglichen Häusern und dem grün und
weißen Spaliergeländer ein wohlthuender und erquicklicher. Es ist ein
ganz außergewöhnlich freundlicher und traulicher Ort, dem man es an-
sieht, daß die hier Wohnenden sich wohl gcfühlt haben. Dicht daneben
weht um einige neue Kolonieen (vgl. Abb. ^3) wieder die trostlose
Atmosphüre, die fast alle derartigen moderncn Anlagen umgibt. Wie
Aunstwart

ZZ«
 
Annotationen