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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1902)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Allerhand Musikalien, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0525

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sie so reaktionär wie einst die Feinde Wagners? Oder sind hier physische Grenzen
überschritten? Jch habs nur einige Blicke in Regers op. 57, eine symphonische
Phantasie und Fuge, thun können, aber genug, um bezweifeln zu dürfen, datz
jemals dieses Ron plus ultra technischsr Schwierigkeiten einen wirklichsn Kunft-
genutz gewähren kann, — weil es sich, ganz abgesehen von anderen Bedenken,
bereits in den Mitteln der künstlerischen Darstellung verrechnet hat. Gerade
für die Härten und Freiheiten der modernstsn Kunst verlangt der Hörer die
strengste logischs Begründung. Um ihrer selbst willen sportsmäßig gepflegt,
werden sie zu Seiltänzerkunststückchen, die lernen mag, wer die nötigen hals-
brecherischen Gelüste in sich spürt, die aber nicht besser sind als einst oder leider
auch jetzt noch die Saltomortale der Cellisten und Violinisten. „Triumph der
Technik" hier wie da. Für Schulzwecke ausgezeichnet, als Beweise einer autzer-
ordentlichen technischcn B-gabung und cines riesigen Fleitzss achtunggebietend,
abcr als künstlerische Leistungen an sich ohne Bedeutung. Reger ist ja nicht
ausschlietzlich Techniker. Jn den hier angezeigten Werken ist auch Musik, ins-
besondere in op. 59; aber immer verdirbt ihm die Neigung zum Vorführen
seiner Kunststücke seine besten Einfälle. Er ist einc ruhelose Natur, die nach dem
bisherigen Gang ihrer Entwicklung kaum zur Abklärung gelangen wird. Den
Organisten gönnen wir ihn gern; die Kritiker, die, um sich als Fortschritts-
männer hinzustellen, ihn als der Modernstsn einen ausspielen, sind meist
schon durch ihre sonstigen Urteile über moderne Musik so bloßgestellt, datz
auch dieses Mitzverständnis nicht weiter verwundern wird.

Jch stelle neben die genannten Werke Regers ein anderes Orgelstück,
op. , Nr. t von Paul Gerhardt. Eine Phantasie über „Aus tiefer Not
schrei' ich zu dir." Sie ist viel einfacher als Regersche Orgelmusik und steht
doch künstlerisch darüber. Sie gshört mit zum Besten, was wir von neuer
Orgelmusik besitzen, sie ist von innen heraus geschaffen und trotz aller Kunst
des Satzes gefühlte, erlebce Musik. Mögen sich die Freunde geistlicher Musik,
die den Kunstwart lesen, dieses Opus (3 Choralvorspiele op. ,, bei Lcuckart
erschicnen) und dann auch die in C. F. W. Siegels Musikalienhandlung er-
schienenen Motetten op. 2 und 6 desselbcn Autors kommen lassen. Hier liegen
vicloersprcchende neue Gaben kirchlicher Kunst vor.

Wie viel es gsrade hier auf das Jnnerliche, auf die Persönlichkeit an-
kommt, zeigsn auch drei Motettcn für gemischten Chor, die Joh. Böttcher
als ox. 2 ebenfalls bei C. F. W. Siegel hat crscheinen lassen. Der Komponist
ist nicht Fachmusiker, man kann ihn also loben, ohne befürchten zu müssen, datz
er sofort op. 3—67 auf den Markt wirft. Er schlägt sichcr die Hälftc von
allem, was geschäftsmätzig in den letzten Jahren an kirchlicher Älcinkunst her-
ausgegeben wordcn ist, durch die Echtheit seiner Empfindung, die verblüffend
einfache und musterhafte Deklamation und die selbständige Verwertung der
Elemente, welchc die klassische a ouppella-Musik grotz gemacht haben. Ohne zu
imitieren" trisst er deren Ton mit einer Sicherheit, die den Wunsch rege macht,
daß der Komponist die musikalischen Darstellungen geistlicher Texte, wie sie sich
ihm in Mutzestunden aufdrängcn, auch serner niederschrcibt und unscrn Kantoren
für ihr amtliches Wirken und ihre eigenen Studien auf das Notenpult legt.
Solche Eingebungen cinfachster Art sind tausendmal mehr wert als die grotzen
Geschüftsoratorien, die nur vom Geist der Spekulation und des Musikhochschul-
betriebes gesegnet sind.

Aehnlichen Wert hat wegen der Echtheit seines Empfindens cin geistliches
Licd „Gebct" für eine Batzstimme und Klavier (Orgel), das Carl Boyde

t- Septemberbeft ^902
 
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