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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Literarische Vereine
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0096
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Schuld Schaden an ihr in den Sänrlen erlitten haben, daß wir aber
in einer neuen Bewegung stehen, die über die Buchstaben aus dem Papier
wieder zur Kunst hinstrebt als der Sprache des vollen Lebens, — so
nehrnen wir der Erkenntnis, daß wir alle Werdende sind, selbst für den
Beschränkten das Beschämende.

Auch dem ringenden Schrifttum von heute kann ein literarischer
Verein nicht wahrhaft dienen, wenn seinen Mitgliedern diese Vorbe-
reitung sehlt. Er könnte nur das Modische sördern, nicht das Moderne.
Eine mindestens ebenso wichtige Ausgabe wie das Vorführen neuer und
neuester Dichtungen und Dichter scheint mir's deshalb zu sein, das Pub-
likum mit den anerkannten Großen der Vorstufe vertrauter zu machen,
mit den Grundlagen gleichsam, die Hebbel, Mörike, Keller u. s. w., so-
wie jene Ausländer gemauert haben, auf denen unsre Literatur von
heute ruht. Wer sich sreundlich dessen erinnert, was ich im vorigen
Hest über „Kunstgenuß und helfendes Wort" gesagt habe, wird nicht
glauben, daß ich für literaturgeschichtliche Abhandlungen schwärmen
möchte. Es Handelt sich hier nicht ausschließlich ums Kunstgenießen,
ganz also werden auch solche nicht immer von Uebel sein. Aber die
Uebung im Kunstgenießen sollte an erster Stelle stehen. Jch würde
z. B. empfehlen, aus den ernsteren Mitgliedern kleinere Kreise zu bilden,
diesen dann nach einleitenden Worten ganz wenige auserwählte Stücke
zu bieten mit geringer Nücksicht darauf, ob sie bekannt sind oder nicht,
sie zu besprechen, sie noch ein zweites und, nachdem um Ermüdung zu
vermeiden andres Verwandtes dazwischen geschoben war, noch ein
drittes Mal zu lesen. Einmaliges Vorzeigen zumal von lyrischen Kry-
stallen sührt nie und nimmer zum Ziel. Diese Methode hat sich erprobt,
die einzige ist sie natürlich nicht. Um z. B. in die dichterische Tiefe von
Mörikes Lyrik zu sühren, weiß ich nichts besseres als ein wiederholtes
Vorspielen der Kompositionen Hugo Wolss, wührend der Leser zu ganz
mühelosem Nachfolgen das Textblatt in Händen hült. Eine Darbietung
nach Stoffen (ähnlich der „Nacht in deutscher Lyrik" unsres vorigen
Hestes) mag in andern Fällen am Platze sein. Jmmer auf der Ver-
tiefung in das Leben selbst hin, immer mit dem Streben, die Dichtung
nur als Tor zu einem Stück Natur, den Dichter nur als Vermittler
sühlen zu lassen. Jmmer mit dem Bemühen, die Geister der Hörenden
zu sammeln, nicht, sie zu zerstreuen. Denn immer mit dem Bewußt-
sein, daß es durchaus nicht „die Menge tut/ daß das Lebenwerden
einer einzigen kleinen Dichtung dem Ausnehmenden viel mehr auf den
Weiterweg mitgibt, als im Vorbeigehn ein Anlüuten an hundert
Psorten, aus denen der Besitzer dann kaum slüchtig aus den Passanten
hinausguckt.

Jch vergesse nicht, daß all das viel leichter angeraten ist als aus-
geführt. Vorlüufig handelt sichs ja nur darum, uns über die Ziele zu
einigen. An vielen Orten aber wird's an den geeigneten Leuten sehlen.
Auch an literarischen Hilssmitteln, die gerade diesen Zwecken dienen,
ist großer Mangel. Erwächst unser Dürerbund zu einer starken Macht,
so wird er auch hier mit mancherlei helfen können. Einen Vorteil
wenigstens haben aber die Wege, die wir empfehlen: wo sie überhaupt
möglich sind, sind sie nicht teuer zu bauen. Etwas kostspieliger wäre
ja, teuer aber brauchte auch nicht zu sein ihre Ergänzung: die Einrich-

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Aunstwart
 
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