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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 8 (2. Januarheft 1903)
DOI article:
Batka, Richard: Das Deutsche Kunstlied, [4]: die schwäbische Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0590
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seinem „zwingenden Schuhplattl-Rhythmus" fehlt es in Berlin völlig
an Seitenstücken, wenngleich auf den mitteldeutschen Universitäten da-
mals so manches Zecherlied entstanden ist, das ihm sonst nichts nach-
gibt. Jn diese Trinkgesünge, dcren Urhebcr fast immer unbekannt
blieben, hat die musikalische Lyrik des 18. Jahrhunderts ihre gesün-
deste Kraft ergossen, nnd nicht nur der Bewahrsamkeit der stndentischen
Sitten, sondern der noch heute überzeugenden Gewalt ihres Ans-
drucks seuchtsröhlicher Stimmung verdanken die Llnnänvck 80NA8 der
Kommersbücher, das „hku, geschmauset", das „Crambambuli" oder
„Jhr Brüder wenn ich nicht mehr trinke", das Fuchsenlied und der
Landesvater ihre unverwüstliche Lebensdauer, wogegen die zierliche
Erotik der zeitgenössischen Gesänge schon längst verblüht und abge-
storben ist.

Jm letzten Drittel des Jahrhundcrts traten auch im Süden
Deutschlands, namentlich in Schwaben, namhaste Liederkomponisten
aus. Der erste, Rheineck zu Memmingen, der dort als Gastwirt
„Znm Weißen Ochsen" seine hübschen Weisen sang, war zwar nnr
Dilettant. Aber er zeigte schon die Eigentümlichkeiten der schivä-
bischen Schule, die Weichhcit der mclodischen Linie und die Verselb-
ständigung des Klavierparts, die schon äußerlich darin zum Ausdruck
kommt, daß die Singstimme aus einem besonderen (dritten) System,
also in der jetzt üblichen Weise notiert wird. Größere Bedcutnng
hat dcr Dichterkomponist Chr. Fr. Danicl S ch u b a r t (1739—91), der
seinen genialen Leichtsinn als Gesangcner zu Hohenasperg büßte und
während der zehnjährigen Hast die meisten seiner Lieder schus. Schon
in seiner „deutschen Chronik" hatte er (1775) den Verlinern der äl-
teren Observanz den Fehdehandschuh hingeworsen, indem er erklärte:
„Der Gesang strömt sreiwillig aus einem gerührten Herzen, hat schon
sein Beet, das ihm die Natur grub, und braucht keinen von den
Marpurgs und Kirnbergern mit Hacken und Schauseln mühsam ge-
grabenen Kanal. Wir haben noch Volkslieder, die über hundert Jahre
alt sind; aber wie ungekünstelt, wie leicht sind sie auch! Jhr Er-
sinder scheint oie Noten aus dcm Herzen gestohlen zu haben." Schubarts
eigene Lieder zeigen überall dieses Streben nach dem Volkstümlichen,
sreilich gelingt ihm das als Dichter meist noch besser als in der
Sprache der Musik. Sein prächtiges „Schwäbisches Baucrnlied" hat
sich (Vergl. Ercks Liederschatz II 159) eine neue Melodie gefallen lassen
müssen. Aber sein „Kaplied": „Aus, aus, ihr Brüder und seid stark",
als Abschiedsgesang der nach Asrika an die Holländer verhandelten
deutschcn Soldaten gedacht, wurde seiner Melodie wegen populär. Sie
soll, wie Böhme angibt, noch heutigen Tags zuweilen gesungen wer-
den, allerdings zu anderen Texten. Jn den achtziger Jahren galten
die Schubartschen volkstümlichen Lieder noch als schlechthin „uner-
reichbar" in ihrer Art.

Der sruchtbarste Komponist der schwäbischen Liederschule aber ist
Johann Rudols Zumsteeg (1760—1802). Man kaunte ihn bisher
nur als den Freund Schillers und als Schöpser der durchkomponierten
Gesangsballade, und erst anläßlich der Säkularfeier seines Todestags
hat Landshoss aus die Bedeutung hingewiesen, die seinen vom Melo-
dram angeregten lyrischen Gesängen nach Klopstock und Ossian, vor

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Kunstwart
 
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