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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,4.1908

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Heft 24 (Zweites Septemberheft 1908)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7707#0449

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Problems durch diese Stilbühue uns
nicht als unbediugt und eudgültig
alleiuseligmachend erscheinen will.

Ahnlich geht es mit der Bühnen--
verkürzung. Wie will man be-
weisen, die Fläche nebst dem Re-
lief sei schöner, berechtigter als der
Raum unü die stärkere Plastik?
Könute nicht im Raum an und für
sich ein vollerer Eindruck des per-
spektivisch uneudlichen Lebens ge-
boten werden? Haben wir das
Drama der alten Griechen oder der
Iapaner zu pflegen? Ist auf der
Bühne uuserer Zeit und unseres
Volks der Chor, der Kothurn, die
großmundige Maske hcimisch?
Wenn nicht, verbietet sich dann die
Besiedelung unsrer Theater mit
Zehntausenden nicht von selbst? Und
bleibt demnach eine starke Ab-
flachung des Bühnenbildes noch er-
forderlich?

Es muß uuzweideutig gesagt
werden: die Einseitigkeit, womit die
Ideen des Künstlertheaters von
Vor- und Nachreklame gepriesen
werden, fordert auch Feinde des
alten Schlendrians zu einer gewissen
Geguerschaft heraus. Wir wolleu
diese Einseitigkeit durchaus nicht
übelnehmen, weun sie Anfangs-
erscheinung bleibt; wir wollen aber
auch zum Anfang uns solcher Dog-
matik nicht bedingungslos unter-
werfen. Und um so weniger, als
die Verwirklichung der Theorien
hier und da zu Inkonsequenzen, zu
Ilmgchung und Vergewaltigung der
dichterischen Forderungen führte,
denen man doch so ausnahmemäßig
vortrefflich zu dienen versprochen
hatte.

In den Theorien selbst sind
Gegensätzlichkeiten, Halbklarheiten
und Halbwahrheiten zu beobachten.
Fuchs z. B. will, wie oben wieder-
gegeben, sämtlichen dramatischen
Gattungen dienen. Deshalb betrieb
er von Anfang an die Aufnahme

des Faust mit seinen Beispielen
verschiedenartiger Dramenstile in
den Spielplan und in die Er-
öffnungsfeier der neuen Bühne.
Littmann dagegen betont die Not-
wendigkeit dcr Beschränkung und
war nicht für die Aufführung des
Faust.

Ähnlich, wie auch Fuchs seinerzeit
in seinem Büchlein „Die Schau-
bühne der Zukunft" vor allem an
festliche Aufführungen gehobener
Dichtung dachte, schaltet Littmann
vom Aktionsbereich des „Künstler-
theaters" das realistische und natura-
listische Drama aus, überdies aber
auch die Oper Meyerbecrs und das
Tondrama Richard Wagners. Mit
Recht. Diese Einsicht wäre nur
noch dahin zu erweitern, daß Werke
ähnlicher szenischer Grundrichtung
auch in Gegenwart und Zukunft
geschaffen werden können, daß es
sich also bei der freiwilligen Ein-
schränkung des Spielplans nicht
um ein freundliches Ausnahme-
zugeständnis an Erzeugnisse der
Vergangenheit handelt, vielmehr um
das etwa halbbewußte Eiugcständ-
nis, daß die „Reliefbühne" nur
einer bcstimmten Dramengattung,
dem zeitlosen und namentlich dem
zeitlos heitern Spiel ohne stärkere
Wirklichkeitsansprüche, tatsächlich
Heimat werden kann. Wenigstens
können wir beispielsweise für
Schillers Räuber oder Shakesperes
Historieu beim bestcn Millen uns
ebensowenig einen Gewinn von der
„Künstlertheater"-Weise versprechen,
wie etwa für Rosmersholm oder
Fuhrmann Henschel.

Aus Georg Fuchsens Worten
übcr den Arsprung seines Arbeitens
f,ür eine Theatererneucrung geht
eine bedenkliche Aberschätzung dcs
Theaterraums, der Raumkunst, dcr
bildenden Kunst überhaupt iu ihrer
Bedeutuug für das Drama hcrvor.
Das wirkliche Theater ist und blcibt

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