Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI issue:
Heft 2 (Novemberheft 1925)
DOI article:
Bruns, Marianne: Jean Paul: zu seinem 100. Todestag
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0092
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
organisieren, das hat er nicht vermocht. Sie verschnörkelt und verschlängelt sich
ohne Rhythmus und ^sntervall, und gar wenn Jean Paul Gefühl darstcllt, z. B.
wcnn er edle Frauen wie Natalie zu geben hat, versließt die Sprache ihm unver-
sehcnö, und grade das, was er liebt und unS als verehrungswürdig ausweisen will,
bleibt uns auf die Art ost gestaltlos und rührt uns nicht. Vollends Jean Pauls
meist sehr gewaltsame und völlig unorganische Operationen an Grammatik und
Wortbildung und Verdeutschungen wie „Blumine" für Flora, „Obstine" sür Po-
mona, „Donneran" sür Jupiter machen seine Sprache unzweckmäßig, und die
sürchterlichen Namenbildungen verunzieren die Sprache und die Träger.

Und doch hat Jean Paul trotz all diesen Mangels an Künstlertum, trotz all dieser
dilettantischen Anstößigkeiten unS unsäglich Hcrzrührendes, tiefst Liebewertes, Edles,
StarkeS, Kluges gezeichnet: Albano im Titan, einen Jüngling, an den zu denken
allein schon Wohltat, Beglückung, Bereicherung ist — die ganze deutsche Dichtung
weist kcine schönere Jünglingsgestalt aus! — Siebenkäs und Leibgeber, die Män-
ner! Auch Nebensiguren sind oft scharfsinnig erfaßt — eS sind meist Frauen, be-
sonderS idealistische, die er der Moral zulicbe verzerrt —, Verhältnisse, der Hof,
das Bürgertum sind klar gegeben. Seine Charaktere entwickeln sich nicht, aber sie
sind doch. Und selbst seine Schwätzereien, sind sie nicht munter, geistvoll, lehr-
reich? Wcil ein Mensch diesen DilettantiSmuS schreibt, ein eindeutiger bedeutendcr
Weltbürger, ein „guker Mcnsch", darum ist er dennoch liebewert.

Jean Pauls Dilettantismus läßt sich auch an der Hand anderer Künste und Wissen-
schaften nachweisen.

Er war musikalisch. Es heißt, er habe sehr schön, sehr vertiest — aus dem Pianino
phantasiert, ja, man verglich ihn mit Beethoven, dem er übrigens auch in der Er-
scheinung geähnelt haben soll; aber er spielte nicht um der Musik willen, sondern
— er hat es verschiedentlich selbst gesagt — um sich anzuregen, um sich zu rühren,
zu begeistern, traurig zu machen oder lustig, und wenn er das erreicht hatte, ging
er an seinen Schreibtisch zurück. Es komme nicht auf die äußere Musik an, sondern
auf die innere, gleichviel, welcheS Jnstrument, welche Musik sie erregt, sagt er. Im
Titan genügt sogar zu diesem Behuse eine selbsttätige Einrichtung, die Flöten er-
klingen läßt. Menschliche Stimmen bevorzugte er und legte viel mehr Gewicht
auf den Ausdruck als auf die Kunst deö Gesanges. Diese Einstellung zur Musik
ist typisch die eines Dilettanten.

Noch krasser als in der Musik ossenbart sich seine bürgerlich-moralisch-dilettantische
Einstellung den bildenden Künsten gegenüber. Hier zeigt er sogar einen entschiedenen,
verachtenden Widerwillen gegen das vorwiegend künstlerische Jnteresse der Beschaucr:
diejenigen Personen in seinen Romanen, die sich an der malerischen Vollendung
eincs Bildeü gleichermaßen entzücken, wenn es Obszönes, wie wenn es Hciliges
darskellt, sind regelmäßig böse, hart und verdorben. — Jn Dresden war er nicht in
die Galerie zu bringen: „ich kenne ja alle Bilder durch Kopien," sagte er. Albano rm
Titan reist nach Rom und empsindet vor den Trümmern antiker Architektur nur
die Größe der Menschen, die so bauten und so lebten. Jmmer empsinden und
fühlen dic Menschen, auS denen Jean Paul selber spricht, irgend etwas in die
Kunsl hinein, ohne sie sinnlich zu ersassen. Nur vom Gemüt, niemals vom Auge
her genießt er die Kunst. Und das Gesühlte ist bei ihm moralisch. Begreiflich, daß
Wieland eS aufgab, ihn von der Schönheit griechischen GeisteS überzeugen zu wollen:
die Griechen waren nicht moralisch in Jean Pauls Sinne, also waren sie nn-
interessant. Furchtbar jedem Auge, das ihn sähe, müßte der Park von Lilar aus
dem Titan sein! Auch er nur aus Gesühlswerten erbaut: Elysium neben TartaruS,
Wasserkünste, unterirdische Gänge, Lusthäuschen, Kirchhöfe, Schlachtselder, Wind-
mühlen, Brücken »nd schwankende Böden und allerhand andere romantische Machen-

77
 
Annotationen