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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 2 (Novemberheft 1925)
DOI article:
Bruns, Marianne: Jean Paul: zu seinem 100. Todestag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0093

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schaften wirren durcheinander. Wo i'mmer Jean Paul Landschaft schildert: sie er-
trmkt in Gesühlen. Sle ist unplastisch. Sle lst gewaltsam ans die Sitnation zuge--
spitzt. Jean Paul tat das bewußt.

Mlt dem gleichen Dilettantlsmns -— immer der gleiche tugendllebende Mensch —
reagierte er aus Philosophie. Das Denken an sich bedentete ihm nlchts, nur wo cs
Begründer oder Bertieser der menschlichen Moralität war, liebte er eS. AuS diesem
Grunde stritt er gegen die Kant-Fichtesche absolute Jchheit und nannte diese Gedan-
ken eine „Mondschein-Philosophie", die im Gegensatz stünde zu Fichtes moralischen
Forderungen und also verfehlt wäre.

Jean Paul hat in einer Zeit gelebt, die unvorstellbar reich war an großen, geist-
vollen oder poetischen Menschen. Man erinnere sich nur an Hand einiger Namen
an jene Welt: Napoleon. Mozart, Beethoven. Schiller, Goethe. Fichte. Die Ro-
mantiker. Grillparzer. Byron. Kleist. Hölderlin. Voß. Unzählige andere. Er
hat viele von den Berühmtheiten seiner Zeit getrossen. Herder und Voß liebten
ihn und wurden von ihm geliebt. Carlyle nannte ihn den deutschesten Dichter. Aber
im ganzen lebte er erstaunlich sern von den Geistströmungen um ihn her. Wer
ihn sprach, erfaßte je nach seinem Vermögen, und meist ziemlich eindeutig und stark
seinen moralischen Wert und anerkannte seinen Geist und seine kindtümliche Her-
zensgüte. Aber eigentlich wirksam nahe blieb ihm außer Herder und Voß doch keiner.
Man achtete sein Werk und ihn, aber lebte nicht mit ihm. Goethe spottcte gern.
llber Goethe hat Jean Paul das liebenswürdige Wort gesagt: „Das ist das einzige,
waS ich vor dem großen Manne voraus habe, daß ich seine Schristen richtiger und
würdiger auszusassen verstehe, als er die meinigen." Goethe hat vieles an Jean Paul
abgestoßen: seine unkultivierte Erscheinung, seine Geschmacklosigkeiten, seine ge-
legentlich unverhüllt gröbliche Redeweise, seine philisterhaste Art, schwarzen Kassee
oder Bier zu Hebammen der Schristen zu machen und mehr dergleichen.

So die Großen der Zeik. Nun aber das „Publikum". Es gab ein kleines Bild
von Jean Paul, das eine tüchtige Firma in Tabakpakete legte. Darunter stand:.
Jean Paul, der Tugend Freund, Feind aller Laster, empsiehlt gewiß anch gerne
diesen Knaster. Die Eristenz dicses BildeS und Verschens ist ein starker Beweis sür
die kanm saßbare Verbreitung und Beliebtheit seiner Schristen und, selbst wenn
das Verslein nicht ohne Humor war, es besagt: weshalb man Jean Paul ver-
ehrte. Man verehrtc seine Tugendliebe. Wohl auch sonst noch manches. Dies aber
vor allem.

Da waren die klugen Bürger, die heute sür Psychologie sind und ThomaS Manns
seine Beobachtuugen und geistvolle Bemerkungen lieben; da waren die edleren
Bürgerinnen, der Fran von Stein verwandt, die vor der Grenzenlosigkeit des Ge-
nialischen zurückschaudertcn und von der Einschränkung des Moralischen sich be-
schützt sühlten und zudem einen Schuß Schwatzhaftigkeit nicht verachteten. Da warcn
die Empsindsamen — damals mehr verbreitet als heute —, die er hundertsach zu
Begeisterung ansachte; da waren die Kleinen, denen er unsäglich wohltat, denn er
war mitten nnter sie getretcn und hatte mit ihnen gewcint und gelacht und hatte
sie gelehrt, kahle Wände mit Wuzschen Freudenrosen aufzuschmücken. Da waren die
Unfesten, die das Jahrhundert der Ausklärung entwurzelt hatte und denen Jcan
Paul an Stelle des zerbrochenen KirchenglaubcnS saßlichere Lehre des Guten gab;
da waren die Jungen, mit denen er, der srüh schon „sertige", dcr immer jung blieb,
ging, denen er zurief: „Jhr seid etwas!" — „Ehrfurchk vor der Jugend", diesas
Wort hat e r geprägt — „Jhr wollt das Rechte! Tut es auch!"

Diesen allen, einer unübersehbar großen Menge hat er wohlgetan, hat sie ge-
sestigt, erfreut, belehrt, unterhalten in einer Zeit, die sür die Deutschen traurig
war und verworren. Groß muß sein Einsluß gewesen sein.

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