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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1926)
DOI Artikel:
Feldkeller, Paul: Der Domestizierte Mensch
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0311

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Der domestizierte Mensch

Von PaulFeldkeller

S wird viel von der „Krise" der Gegenwart gesprochen: von den Erei'gnissen,
I O denen der moderne Mensch nicht gewachsen sei, von der fehlenden Einhei't, Ge-

fchlossenheit, Bindung der Zeit, vom Kampf ztvifchen den Lebenögebieten,
deren jedes eigene Wege geht, und damit von der Di'sharmoni'e und dem alles
zernagenden Relativi'smns, von der resignierenden Zeitsti'mmung: jeder hat
recht, wozu der Lärm?

Der philosophifche Menfch von heute, der Menfch von starkem Erkenntniswillen
und philosophischem Pathos, der nicht erst warten will und kann, bis eine spätere
Zeit die Kategorien der gegenwärti'gen auffindet, wird ihr Stigma gerade in dem-
jenigen finden, was er selber besitzt und ihr fehlt: eben in dem gänzlichen Mangel
an philosophischem Pathos bei den Gebildeten und Ungebildeten. Das viele
Gerede über Religion und religiöse Dinge, die vielen Bucher über Philosophie
dürfen darüber nicht hinwegtäuschen. Gerade der gänzliche Mangel an Kraft des
Glaubens und der Sehnsucht nach dem, waS man nicht besitzt, ist ja die Ursachc
der vielen Worte und Bücher über Religion. Und das reiche Schrifttum über
Philosophie, ihre Gefchichte, ihre Struktur ist Philosophiewissenschaft, Philosopho-
logie, selber aber noch keine Philosophie. Die religionswissenschaftliche und philo-
sophologifche Betriebsamkeit der Gegenwart entspringt darum der Armut, dem
Bedürfnis, nicht dem Überfluß. Man bringt sich den Kontrast des heutigen
so viel von Religion, Bibel, Theosophie, Ewigkeit redenden, weil glaubenSlosen
zum glaubensstarken Menschen gar m'cht deutlich genug zum Bewußtsein. Man
verwechselt heute allgemein zweierlei. Der Gläubige hält sich bedingungslos zur
Berfügung seineö Gottes, der Glaubenslose hält umgekehrt Gott und Religion
zu seiner eigenen Berfügung: er braucht sie im Lebenskampf, in Krankheit und
Not, im Sterben. Zum Begriff des Glaubens gehört das Überfließen aus der
Füile des Lebens, das „ein Übriges tun", das Fehlen zwingender Gründe und Ur-
sachen*, der schäumende Übermut der Derschwendung an Urteilen, Gefühlen und
Handlungen. Ganz im Gegenteil dazu ist der „Glaube" aus der Armut, aus
dem Bedürfnis nach Trost, Erbauung, aus der Lebensunkraft, aus dem Zwang
sei es der logischen Gründe, sei es dcr realen Verhältnisse gar kein Glaube, da
der „Gläubige" seine Notlage, sein Glaubensbedürfnis in Wirklichkeit gern mit
einer Situation vertauschen würde, die ihn dieseö Bedürfnisses, dieser Notwen-
digkeit, glauben, beten, betteln, hoffen, sich aufrichten zu müssen, enthebt. Der
Gläubige ist ein Schenkender, der auchgläubige, scheingläubige Ungläubige ist ein
Schmarotzer. Unsere wissenschaftlich so erakte Zeit (welche das Vorhandensein
deö Zweck- und BedürfniSglaubenS k e n n t) hat das Kunststück fertig gebracht,
beides — den Luxus und die Blöße — mit dem gleichen Namen zu benenneu.
Der Gläubige macht sein Leben dem Glauben dienstbar, der Glaubensfeind, der
Schädling der Religion, stellt umgekehrt die Religion i'n den Dienst des Lebens,
seiner irdischen Jnteressen. Fleht jener: „Ob alleö Leben untergeht, wenn du
nur bleibst, o Herr!", so betet dieser: „Wer immer der sei, der uns hilft, wenn
nur das Leben und seine Werte, seine Kultur erhalten bleiben!" Welche sind
nun die wahren Feinde der Religion? diejenigen, welche sie für unnötig er-
klären und ignorieren, oder die, welche mit ihr Hurerei treiben? Der Gläubige
geht in den Tod für seinen Gott, der Ungläubige verlangt, daß sein Gott für
ihn stirbt, damit er die Härte des Lebenö ertrage. Menschenleben ist zwar immer

Oaher die Angriffe dee Logik nuf den Glauben!

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