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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 2 (Novemberheft 1925)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0130

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Vom Heute fürs Morgen

Der Festsaal

dem Gymnasium, daS ich besuchtc, gab
^)eS eincn Festsaal, dcn die Schülee nur
in seltenen Augenblickcn, bei besondcren Feicr-
lichkcitcn, bei Dankgottesdiensten und schlicß-
lich bei dcm Abikurientenexamen betrctcn
dursten. Dcr Saal, in körnig-kalkigem Weiß,
dic hohcn, strcngcn Säulcn kanneliort, ab
und zu cine feine Linic edleS Gold, alleS
Würde, alleS Zcichen deS cBostehenS, der
Autorität, dcS ernstcn, abcr nicht gehässigen
und jugendfeindlichen GeisteS, in dem die
Schule gcführt wurdc. Diclleicht ist durch
dcn Gcist dicscS SaaleS mehr an Erzie-
hungSarbeit gelcistet worden, als durch viele
Unterrichtsstunden. (Jch möchte sogar sagen,
daß dcr jungc Mensch mehr durch dic
Schülerbibliothek, durch den Turnuntcrricht,
die Jugcndspiclc und schließlich durch die
Festsäle und Schulkapellen in seiner gei-
stigcn Haltung sür daS ganzc Leben be-
einflußt wird als durch daS, waS cr an
„Wissensstosf" ausnimmt.)

WaS an Jdealen in dcm jungen Menschen
sich entwickeln soll, wird hier gesät, dec
künftige SportSmensch, dcr Fußballcnthu-
siast ist der Vertrcter einer Richtung, der
Ehrgeizigc, der AutoritätSmensch, der an die
Sendung der Menschheit glaubende ist
dcr andere Typus, und der dritte ist der-
jenige, dcr die wirklichen Werte deS Lc-
bens, Geld und Macht, Auftreten und Be-
sitzcn schon in dcr Schulc und gegcn dic
Schule crfaßt. Denn in der Schule wird man
kcineswcgs zum praktischen Leben und zur
realcn Auffafsung der wünschenswerten Dinge
in dec Wclt crzogcn. Wie könnte denn auch
dicS in einer Anstalt gcschehen, wo man von
dcr Macht des GeldeS nie etwaS erfährt,
wo Mathematik und Gricchisch gelehrt wird,
aber nicht die Kunst, mit Menschen zu
sprechen, noch auch die größere, Menschen
anzuhören, und am wenigsten die größte,
ihnen seinen Willen aufzuzwingen und sie
dabei in dem Glauben zu lassen, eS wäre der
ihre? Die Schule hat ihre cigenen Jdeale
und der Festsaal ist der heiligc Ort, wo diese
in Schweigen zwischen cdlen weißen Maucrn
thronen.

Es gibt noch heute Menschen, die in ihrem
ganzen Lcben diescn Jdealen, daS heißt,
diesen Träumen und Jllusionen nachjagen

und die in ciner doppelten Art von Hel-
dentum ihre eigcntliche Sendung, ihrcn Be-
ruf und ihre Würde, oor allcm aber ihre
Freude finden. Doppelt deShalb, weil die
fHntensität ihrer LebenSführung die Riosen-
auSnahmc der genialen Natur verrät, und
dann deshalb, weil daS, waS sic anstreben,
so ganz verschiedcn ist von dem, waS allen
anderen als LebenSzicl vorschwebt. Doppelt
sind sie deühalb ocreinsamt und ihre einzige,
aber nie zu crschütterndc SküHe habcn sie an
dem blinden, weltabgewandten Glauben an
sich und an die unbedingtc Rotwendigkeit
ihrer Ziele.

Wenn eS ein Zcichen einer hohen Liebe ist,
in ihrem Gegenstand daS Unabwend-
barc, daS Muß zu sehcn, und den sonst nur
üußerlich cmpfundcnen Zwang der Ratur
als inncre Rotwendigkcit zu fühlen, und
dem Schwung der Welten sich nicht zu widcr-
sctzen, sondcrn ihn zu überflügeln in dem
unbeschreibbaren Rausch deü Wirklichen, —
dann hat dcr vor einigcrZcit heroisch gestorbene
Forscher Sir Erncst Shackleton, der
Entdccker deü Südpols, in dem edelsten
Rausch deü Wirklichen gclebk, gcschaffen, ge-
litten und gecndet. Jn einer Zeik, in der
ganze Völker sich um niedcre Jnteressen
wie die Tiere und ärger als die bestialischeste
aller Besticn zerfleischten, hat dieser in sei-
nem Willen und Können unbcirrbare Held
und Dichter daS lctzte Beispiel einer höhercn
Auffassung dcS DascinS gegeben, er hat sich
an dec Chimäre gefreut, ist ihr bis in
den geheimnisvollsten Winkel der unbewohn-
ten Erdc gefolgt, und in den Tatzcn dieser
Chimäre, die halb zärklichste Mukter, halb
blutdürstende Tigerin ist, hak er daS sterb-
liche Tcil gclassen.

Man wird dcm Film viel vcrzcihen, wenn
man ihm dafür dankcn kann, daß cr unS
dic Möglichkeit gab, dcn großcn Abenkcuercr,
den größeren Entdccker und dcn ewigen Jü-
ger der Chimäre vvn Angesicht zu sehcn.
Der Film wurde so angekündigt:

„Shackleton, Südpolcppcdition.

Ein naturgeschichtlicher Melsterfilsn.

Ein lebcndcS Dokumcnt.

Eine wahrhcitsgetreuc Schilderung eines
ruhmrcichcn UnternehmcnS."

Gibt eS also noch Untcrnchmungen auf un-
serer unseligen Erde außer der Eroberung
der Märkte? Gibt cS noch einen Ruhm,
 
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