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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 3 (Dezemberheft 1925)
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Pringsheim, Klaus: Erneuerung der Kammermusik
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Schumann, Wolfgang: Selbstentlehnung - Autosuggestion
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0186

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Die Zeit höfischer Musikpflege, in deren Derhältnissen di'e Klassiker der Kammer-
musik geschafsen haben, wird nicht wiederkehren. Doch aus den gesellschaftllchen
Nöten der Gegenwart erleben wi'r nun di'e soziologi'sche Wledergeburt der Kammer-
musik. Wie steht, wie stand es in der Epoche unsereS MusiklebenS, aus die wir
heute zurückblicken? Alle Musik, die ernst genommen werden wilh vom Schubert-
lied, von der Mozart-Sonate bis zur Mahler-Symphonie, war in den Nahmen
der Veranstaltungen gespannt, die wir „Konzerte" zn nennen gewohnt sind; Kon-
zertsähigkeit, ein nivellierender, typisierender, uniformierender Begriss, war das
Maß sür Musik und Musiker; vom Konzertsaal, den ein anonymes Zufallspublikum
süllte (wcnn es ihn süllte) wnrden alle Kräste des Musiklebens aufgesogen; der
Grund, der es befruchtete, war: die städti'sche Öffentlichkeit — kein fester Grund,
ein schwankendes, ungreisbares, höchst wandelbares Gebilde, doch in normalen Zeiten,
in Zeiten ruhiger Entwicklung stetig genug, daß wir und die Musik uns wohl
sühlen konnten. Die heutige Konzertössentlichkeit — Bild der Desorganisiertheit,
Spiegelbild einer nicht mehr und noch nicht beskehenden Gesellschaft, halb Gestern
ohne Morgen, halb Morgen ohne Gestern — kein Wunder, wenn aus di'eser Dssent-
lichkeit Musik und Musiker in die Geborgenheit geschlossener Zirkel und privater
Kreise flüchten. So erstehen Stätten, Stunden echter Kammermusik, wird Kammer-
musik intim-gesellschaftliches Ereignis, gesellschaftliches Kulturgut, gesellschaftbildende,
-bindende Kunst; Musik wird sich wieder ihrer kultur-gesellschaftlichen Mission bewußt.
Die Sprachverwirrung, Begrisssverschiebung, die aus dem Wort „Kammermusik"
den Sammelnamen einer Literatur gemacht hat, ging so weit, daß wir „Streich-
quartett" sagen, und wir meinen — bald einen aus vier Streichinstrumenten ge-
bildeten Klangkörper, bald aber: ein formal determiniertes Musikstück, daö für vier
Streichinstrumente geschrieben isk. Mit gleichem Recht könnte man eine Sym-
phonie „Orchester" nennen. Nichts spricht dagegen, nnd es wäre an der Zeit, den
Namen „Symphonie sür Streichquartett" einzusühren. Darin wäre zugleich ausge-
drückt, daß für uns der Begriss symphonischer Musik — wenn wir Wort und
Begriss des „Symphonischen" nicht nüssen wollen — keineswegs an die Frage ge-
bunden ist, ob zum Beispiel die Stimme der ersien Geige von einem oder von
sechzehn Musikern gespielt wird. Und eö sollte darin noch auögedrückt sein,
daß unser symphonisches Erleben in der Enge kammermusikalischer Begrenztheit,
in der unendlich weiten Welt der letzten Beethoven-Quartette, Raum hat, in
kammermusikalisch-intimer Abgeschiedenheit erwünschteren Widerhall sindet als im
Chaos der heutigen Össentlichkeit.

Die Frage ist müßig, ob Mahler der letzte Orchestersymphoniker großen Stils
gewesen ist. Sicher ist jedensalls: unter Heutigen hat er keinen Nachfolger, sein
letztes Werk, seine Neunte, war Zukunst, war Anfang, ist aber noch Anfang ohne
Fortsetzung geblieben. Nach der Achten, der gefährlich theaternahen, diese Neunte,
wie das „Lied von der Erde" unendlich theaterfern. Auch hier ein großes Orchesier,
sast wie bei Strauß. Aber das große Qrchester des letzten Mahler ist in Wahrheit
ein großeö Kammerorchester: hier ist, vielleicht, der neue Weg der Kammermusik.

Klaus Pringsheim

Selbsilenkung — AuLosuggesiion

u den ernstesten Fragen unseres Lebens gehört die, wie wir eigentlich unsere
Entscheidungen und Entschließungen zustandebringen oder wie wir sie am
^»^/besten zustandebringen sollten; wie wir zweckmäßig unser eigeneö Ver-
halten, Tnn und Lassen, Erleben und Erleiden lenken sollen.

Jst es der Wille, krast dessen wir unS lenken? Ein skarker Wille, so sagt man,

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