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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1926)
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Feldkeller, Paul: Der Domestizierte Mensch
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Bartsch, Rudolf Hans: Gemüt und Behagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0320

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glaubk nur an das Werkimmanente. Werkphilosophie ist Erdphilosophie. So glän-
zend alles hente scheint, so slach ist es in Wirklichkeit. Darum ergeht der Znrus an
alle, die es angeht:

Werft die Augen über euch und eure Wertungen!

Lernt ausrecht gehen!

Werdet blbertlere, werdet Menschen!

Gemük und Behageu

Von Rudols Hans Bartsch

(^v^^^cnn die langen Sommertage sich in jener tränenden Endlosi'gkeit, jenem
1 ^ > „Kef" dehnen, die du selber in solcher Zeit sühlst, denk an das Frösteln
deS Herbstes. Es wi'rd dich mit einer klei'nen Angst durchzucken; aber
di'ese Angst ist schön. Man kann ihr entweichen, wi'e man vor dem Sturme inö
Dickicht oder in die Schuhhütte ausbeugen kann, — und alle Art von Leeseite des
Lebens ist schön. Licht und Feuer haben wi'r aus der geschützten Seite, auf deren
anderer Nacht und Eis in tödlicher Starre uns nachblicken. Das Dach haben wir
gegen den Rcgcn und die Stube gegen di'e enorme Hei'matlosi'gkeit di'eses Lcbens,
die durch beinahe jedeS sremde Menschengesi'cht imstande ist, uns nach Hause zu treiben.
Um nur etwas wie Unterkunft in der sürchterlichcn Fremdheit dieser rußgualmenden
Welt zu sinden, die wi'r uns gemacht haben. Darum soll jedes Menschenki'nd sich
und alle, die es lieb hat, in der großen, nordischen Kunst üben, ein- und heimzukchren.
Bei sich selber.

Über dcn höchsten Gipscln der Ersüllung dieses LebenS weht ein todnahes Erschauern
von Winter, von Schneeluft, von Angst, Abschied nehmen zu müssen, und von Ein-
samkeit. Wenn aber ein Menschenkind sozusagen seine Scele als Wohnung einge-
richtet hat, als deutsche Wohnung, als nordische Dönz und Dcel, als angelsächsischeö
Landhaus (das sind alles Äußerungen derselben Seelenart), dann ist es cine wun-
derbare Erfüllung, in sein Jnneres zu versinken, seine Augen zu schließen, um nur
noch mehr dem Reichtum der eigenen Gesichte zu leben. Wer das kann, in seinem
Zimmer, das bloß voll ist von dcm Däinmcrschein der Skraße, die tief unter seiuen
Fenstern hetzt, wie ein nachhallender Akkord auf und ab wandern, ohne Licht anzu-
zünden, in den Tagen, da die Blumen bloß noch Wache sür Allerseelen halten und
die glückli'chstcn und schönsten der Vögel davongezogen sind, der ist reich.
blm die Zeit, da die Laternenlichter srüh abends schon brennen, da muß man soviel
inneres Leuchten haben, daß es beinahe zur Wonne wird, kein Licht anzuzünden.

Jn sich selber muß man nach Leuchten greifen können, wie in eine Kammer voll von
dustendeni Vorrat. Wenn die Krähe den Nebelmorgen ansagt und der Häher das
Blättertreiben im Walde, dann muß man in sich sclber den deutschen Dfen lodern
hören könncn, der diese Nunen sprechcn kann: Einkehren und heimkchren.

Solcher Borrat in der Seele, wer ihn kennt, gibt ein ganz ähnlicheS Gesühl von
inncrer Wärme und Geborgenheit, wie dem primitivcn Menschen in schmalen Tagen
Mehl und Näucherwurst und Speck ,'n der Kamnier und eine kleine Wand hoch-
geschlichteten Holzes unterm Hausdach. Der klcine Mann kennt dics so poetische
Gefühl gut. Geborgenheit vor dicsem häßlich gewordenen Leben. Bahnhofgast, denk
daran, waS das hei'ßt: Stube, Dorratskammer und Holzvorrat für den großen
Winter, ,'n dem wir alle leben!

Fürchterlich einsam steht der Mensch unterm Menschen. Trotz aller Gemeinsam-
keitskräume würde jeder deö andern Raubtier sein, wenn Zeiten der Not kämeck.
Darum ist nns allen der Begriss Vorrat so bäurisch und egoi'stisch ans Herz ge-

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