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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1926)
DOI Artikel:
Walzel, Oskar: Joseph Viktor von Scheffel: zu seinem 100. Geburtstag, 16. Februar 1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0307

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Joseph Viktor von Gchesfel

Zu seinem 100. Geburtstag, 16. Februar 1926

ur ZeiL des Weltkriegeö wurde ein Lied Gcheffels gern gesungen. Hugo Wolf

hat es vertont. Es entsprach der Stimmung eines zähen Äämpfs um so mehr.

^^/als ja wie in den Kreuzzügen Deutfche wieder bis nach Paläftina vorgedrungen
waren. „Biterolf" nennt sich das Lied in WolfS Werk. Zwei kräftig gefügte, macht-
voll geprägte Strophen: „Kampfmüö und sonnverbrannt, Fern an öer Heiöen
Stranö, Waldgrünes Thüringland, Denk' ich an dich..." So beginnt der Sang.
Ein Gruß an öie Heimat fchließt sich an. Dann setzt die zweite der beiden acht-
zeiligen Etrophen mit den Worten ein, öie völlig dem deutfchen Lebenögefühl des
WeltkriegS entsprachen: „Feinöen von allerwärts Trotzt meiner Wasfen Erz." Nur
gegen die Sehnsucht schirmt kein Schild. Trotzdem klingt eö aus in öen Entfchluß
unverzagten Auöharrens: „Wer Gottes Fahrt gewagt, Trägt ftill sein Kreuz."

Jch habe das Lieö von einem singen hören, der selbft draußen im Kämpf gewesep
war. Schon war alles entfchieöen. Es war im Frühherbft igig. Dennoch blieb
mir der Eindruck, daß hier zwei Künftler den Nkenfchen einer spätern Zeit ge-
spendet hatten, was öeren Gefühl im Mittelpunkt traf und auösprach, besser unö
echter als vieles, das der Tag selbft gezeitigt hatte. Sicherlich war eö ahnungslos
gefchehen und ohne den Anspruch, dem Leben mehr zu fchenken als die Erinnerung
an eine große Bergangenheit. Scheffel wollte nur Kreuzzugsftimmung verklären.
Wolf nutzte alte Klänge, um die gefchichtlich echte Tönung noch zu fteigern. Beider
2lbsicht fußte im Hiftorismus. Unerwartet wuröe Spiegelung der Vergangenheit
zu Spiegelung des lebendigen Augenblicks und seiner Gefuhlsgehalte.

Wer sich öer Mühe unterzieht, daö Gedicht in Scheffels Werken nachzufchlagen,
findet es in der Sammlung „Frau 2lventiure, Lieder aus Heinrich von Ofteröin-
genS Zeit"; sie ift 166Z erfchienen, also ehe Deutfche ahnen konnten, welche Auf-
gaben ihnen der Krieg bald ftellen sollte, welche Erfolge das deutfche Schwert vor
sich hatte, am wenigften, wie nach Jahrzehnten diese unerwarteten Erfolge öahin
führen würden, daß deutfcher Waffen Erz wirklich Feinöen von cillerwürts zu
trotzen hätte. Als Wolf die Verse Scheffels in Musik brachte, war die Weltge-
fchichte fchon vorgefchritten. Allein noch lag der Weltkrieg in weiter Ferne. Jft
doch Wolf fchon igoZ geftorben.

Scheffels „Frau Aventiure" nennt daS Gedicht tatsächlich „Jm Lager von
Akkon", fügt es nur einem Zyklus ein, öen er „Biterolf" überfchreibt. Wichtiger
ift, daß eö hier noch eine dritte Strophe umfaßt. Wolf hat sie nicht mitaufgenom-
men. Sie hätte zu dem EthoS seiner Vertonung kein Verhältnis gewinnen können.
Wie Weiheklang tönt seine Musik. Hätte ihr diese Strophe noch getaugt?

Drüben am Belusbach
Jft fchon die Vorhut wach;
Heut noch klingt SpeereSkrach
Durch Kisons Flur.

Horch, wie die Hähne krähn!
Heut bleibt daö Frühmahl ftehn,
Heut, werter Sarazen,

Haun wir uns satt!

Echter Scheffel. Die Stimmung der beiden erften Strophen ift zu ftark, als daß
er sie auf die Dauer halten möchte. Sie bricht am Schluß zusammen. Humorvolles
Lachen überwältigt sie. Ein Zeitalter von bürgerlicher Gesinnung liebt hohe Töne
nicht. Das Feierliche bleibt ihm nur erträglich, wenn noch ein Ausweg in minder

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