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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 5 (Februarheft 1926)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0343

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Vom Heute fürs Morgen

2lus der Weltgeschichte des Tieres

o wic dic überschrifk dieser Zeilen heißt
cin Buch Wilhelm BölscheS, daS kürzlich
bei C. Reißner in DreSden erschienen ist.
Wir cmpfehlcn dieseö Buch.

Bölsche wird zuweilen schcel angeschcn.
Seine wissenschaftliche Zuverlässigkeit wird
bestritten, ja seinc „Wissenschaftlichkeit"
schlechthin. Dor zwanzig Jahrcn bedcutctc
das in geistig intcressiertcn Kreisen cine
schwere, ja sast tödliche Kritik. So mußte
man denn um den Ruhm dcr Wisscnschast-
lichkeit streiten, und das geschah. Hcute
dürfte cs Manchcn cher ein Dorzug scheinen,
wcnn cine Arbcit nicht wissenschaftlich ist;
der alte Vorwurs hat für Diele an durch-
dringender Schäcfe verloren. Jn Wahr-
heik lst daS Kcrnproblem mit dem einen
Ausdruck „wisscnschastlich" gar nicht zu
fasscn! 2>n Ernst konntc niemand je einem
Bölsche die Grundkcnntnisse deS Wissen-
schafters, ja des FachmannS abstreiten. Jm
Kern seincs Wesens war er zweisellos
Wissenschaster. Jndcssen wich scin Jntercsse
crheblich von dcm deS Gelehrten ab. Zu Un-
recht abcr hat man früher unker dem Titel
„Wisscnschaftlichkeit" auch eine besondere
Haltung, nicht nur Fühlung mit eincm
„Fach", verlangt. Während man umge-
kehrt heute die Wichtigkeit der wissenschaft-
lichcn Grundlagen untcrschätzt.

Unzweifelhaft wcicht Bölsche auch in seinem
neuen, für ihn durchaus typischcn Buche
von der Wisscnschaft wicder irgendwie ab.
Jrgendwie, daS heißt: durch scincn Stil,
durch seine Problcmstellung und seine Kom-
binationen. Bölsche als Schriststeller kann
etwas, was man kaum je so antrisst. Er
kann durch geschricbene Sprache ein Tier so
beschreiben, daß man eü vor sich sichk;
auch zwei Tiere durchcinander, so daß man
ein Bündel von Problemcn gewahrt, wclchcS
nur durch lcbcndige Ganz-Dergleichung sich
ausiut. Er kann übcrhaupt schildern wie
Weni'ge. Mchk immer ist cr sprachlich ganz
gcschmackvoll; nicht immer elegant; aber im
großen gcsehen ein Deranschaulicher von
höchstcr Krask. Mit dicsem ungeheurcn Vor-
zug, dcr eine allerseltenste Begabung ist,
weiß nun die „Wisscnschaft" gar nichts an-
zufangcn; >n einer Bäckerei nützt cs nichts,
wenn der Gesolle gut Papiersorten unter-

scheiden kann. . . . Um so wertooller ist
die Begabung für dic großc Lcserschaft:
Bölsche lehrt sehen, und zwar denkcnd sehcn,
nicht nur registricrend beobachten. Nebenher
sei auch zugegcbcn, daß sein Schreibstil
in rcin ästhetischcr und geschmacklicher Hin-
sicht zuweilcn Kopfschükteln crregt: doch fällt
daü nicht inü Gewichk. Bölschcs Problem-
stellungen und Kombinationen sind zum Teil
berühmt gcworden. Wir erinnern an sein
„Liebesleben in der Ratur": da nahm er
sich kühnlich ein Thema für sich allein
heraus, um daS die Wisscnschaft nur allzu
gcrn scheu herumging: das gcschlechtliche.
Und cr griss damit so recht in daS Leben
hinein! nicht nur auS erotischen, lüsternen
Antrieben ist daS Buch mit Lcidcnschaft ge-
lesen worden: es handelte frci und heiter,
auS dcm Geist deS objektiven WeltbetrachterS
heraus, der beobachtet und sich an der
mannigfaltig-bunten Fülle ergötzt, von Fra-
gen, die nun einmal die Menschcn tiefer
packen, als diejenigen, wclche die Wissen-
schaft in ihrcr arbeitteiligen Spezialisierthcit
gcwöhnlich behandelt. Nebenbci: daS be-
rühmte Buch hat nicht nur intcressiert und
belehrt, cS fruchtete auch lebendig, indem
eS eine ungezwungene und naturgemäße Hal-
tung und Anschauungweise gcgenüber dcm
Geschlcchtlichcn übcrmittclte, wic sie ange-
sichts vcrschrobener „moralischcr" Einstellun-
gcn Vielen innig erwünscht wac.

Ein zwcites Mal so unmittclbar in daS
brcnnende Interesso der Mcnschcn hineinzu-
wirken, konnte selbst Bölsche kaum vcrgönnt
scin, obwohl scine Hauptlhenicn: Die Ent-
wicklungslchre und Dic Anwcndung dcs Ent-
wicklungSgedankcns auf alle Dinge des Le-
benS, jederzeit gefesselt haben. Dennoch
mußte auch er allmählich zu den Angelegen-
heiten seines engcrcn FachcS übergchen. Hin-
wicderum crgab cr sich nicmals der sach-
lich-wissenschastlichen Arbcit und ihrcm Stil.
Dielmehr warf er auch im bcgrcnzkeren
Raume d i e Fragcn auf, denen sich gemäß
ihrer weittragenden Bcdeutung eine größere
Teilnahnie zuwendek: und bchandelke, aber-
mals mit Freiheit und Kühnheit, nicht nur
daS bcobachtctc Material, sondorn auch die
Fülle dcr bunten Hypothescn, welche als
geist-anregende Dcutungen das Matcrial um-
spielen. Don solchen Arbeiten ist ein grvße-
rer Sammelband daS vorliegende Werk:
 
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