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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1925)
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Jean Paul: zu seinem 100. Todestag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0088

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- XXXix-

Zu seinem IOO. Todestag^

^v^-^^er an Jean Panl denkt, wer von Jean Paul spricht, muß nokwendig,in
I ^ >ers!er Linie — wenn anders er von i'hm weiß — an den M enschen den-
^^^^ken, der diesen Namen Lrng, von dem Menschen sprechen, der ans di'e-
sem Dichter sprach. „Ein wunderlicher Mensch!" sagt man mi't sinnendem Kopf-
schütteln, „cin wundervoller Mensch!" glei'ch darauf, nüt vollem, überzeugtem Auf-
blick. Jean Paul selber, wenn er eS hörte, würde darauf mehr Gewicht legen, als
wenn es hieße: ein großer Dlchter. Seine Erschci'nung schildern die Zeitgenosscn ein
wenig belustigt. Er trug einen uralten, flecki'gen Schlafrock und rutschende Socken.
Sein Haar, im Gegensatz zur Mode der Zeit, war nicht i'm Beutel, sondern frei
gclockt. Er wurde als Mann stark „wie ein Brauer", war aber dabel beweglich.
Dennoch scheint er nicht eigenklich fett gewlrkt zu haben.

Es gibt unter den Bildern von Jean Paul eines von Friedri'ch Meyer — es stellt
ihn achtundvlerzigjährig dar -—, das die Zei'tgenossen und er selber für daS elnzig
wohlgetroffene hielten. Es zeigt einen Mann vom Typ unserer hundert Jahre toten
Urgroßväter; — nicht die Kleidung ist es, es ist der Zeitgeist, der jeder Generation
ein bestimmtes Gepräge gibt — die Formen seines Kopfes, sehr große Stirn und
eingeengter Mund, ein Zug von den Augenwinkeln zu den Schläfen, ein Zug von
der gröblichen Nase zum Mund, scheinen unS auf Zähigkeit, ja auf Engigkeit zu
deuten. Die Augen allein sind eindeutig geistvoll. Ein ernsies und gewichtiges
Manngesicht zeigt dieses Bild. Aber was ist ein Bild! Einseitiger Ausdruck eines
sonst tausendfültigen, widerscheinend aus dem Spiegel des malenden AugcS. Dieses
Bild zeigt den eingezogenen, den einziehenden, etwa zuhörenden Jean Paul. Die Zeit-
genossen aber schildern regelmäßig den sich aussirömenden. Er muß häufiger ge-
wesen sein. Und es muß bei ihm gewesen sein, wie so oft bei lebhaften, bei tief
lebendigen und klugen Menschen: das an sich wenig schöne Gesicht muß sich beim
Sprechcn nahezu magisch belebt haben. AIs unaussagbar anziehend, liebenswürdig,
bezaubernd, ja schön wird uns das belebte Gesicht mit den seelenvollen Augen ge-
schildert, das, ruhend im Bilde, nicht viel mehr ist als klug und rechtschasfen bürger-
tümlich. Was Jean Paul so von tief her durchlebte, was ihn so liebenswert, so
herzlich verehrungswürdig erscheinen ließ, es war begründet im Urzug seineö
Wesens: in seiner Liebe zur Tugend. „Tugend", heute hat das Wort Beiklang
von unlebendiger Kirchlichkeit, von dümmlichem Dünkel, von entkräfteter Verbogen-
heit, aber ursprünglich ist es ein starkes Wort; stark und gottlebendi'g war dieseö
Wortes Sinn für Jean Paul. Seine Liebe zur Tugend und sein Glaube an sie als
an den Sinn des LebenS und das Wesen Gottes machten ihn liebend, gütig, heitcr,
willentlich, freiheitlich, wahrhaftig, keusch, machten im Grunde alle seine Eigen-
schaften, machten ih n. Und machten so seine Werke. Alles, was ihm gegeben
war: Phantasie, Geist, Sinnen-Wachheit und Herz, es war ihm nur Mittel zu dem
einen Zweck: der Tugend zu dienen. Nicht als Dichker war er gem'al, sondern als
Moralist. Daß er zugleich wunderlich war, aus Phantasie, aus Eifer, von einer

Novemberheft igaö (XXXIX, 2)

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