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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 4 (Januarheft 1926)
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Auf dem Weg zur Religion?: von einem Irreligiösen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0260

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Äus deimWege zur 9eellgiou?

Von^einem A-religwsen

^v-^-orhergehen muß eine Erklärung an die religiös Erzogenen und Neligwsen.

^ >Nie!e von ihncn meinen, Religiössein tverde dcn Illenschen als ein narürlicher
Wesenszustand angeboren; sie halten, falls sie ein wenig zeitfeindlich angehaucht
sind, unreligiöses Wesen darum gern für „enkartet". Wenn ich meine Kindheit und
Jugend überdenkc und annehme, daß ich nicht entartet war, so muß ich bezeugen,
daß Religiosität durchauS nichts Angeborenes ift. Jch erinnere mich trotz eines sehr
guten Gedächtnisses an nichts als ein paar flüchtige Stimmungen religiöser Art aus
meiner Jugend, Stimmungen von je einigen Stunden Dauer, hervorgerufen durch
Gelerntes nnd GehörteS von „Gott" und anderen religiösen Vorftellungen, erinnere
mich sonft aber nur an allereinfachfte Furcht vor Dunkel und Tod, wclche in er-
fchrcckenden Bildern vom Sensenmann Rethelfcher Prägung und ähnlichen Erinne-
rnngen an unheimliche Kunftwerke schwelgte. DieS ging mit dem Erwachsen vor-
über. Als junger Gymnasiaft habe ich selten an Diskussionen über Religion teil-
gcnommen und jedenfalls nur, um mit längft entfchwundenem Mut fchlichthin zu
äußern, so etwas gebe es nichk und man solle sich doch nichts cinreden lassen. Das
tägliche Abendgebet, zu dem mich meine sonft religiös glcichgültigen Eltern anhielten,
dcr nichtssagende Religion-Unterricht in dcr Schule, die gemcinsamen Andachtcn, die
nüchterne Konfirmation, das ftimmungslose Kommunizieren, an dem ich ein einzi-
ges Mal teilnahm — alles dieS ging spurlos an mir vorüber nnd hinterließ höchftenS
das Gefühl, Religion sei eine überflüssige und meift erheuchclte, jedenfalls ganz
unbedeutende Angelegenheit. Jn Zeiten tiefer Niedergefchlagcnheit und Not oder
leidenfchaftlicher Wunfchbesessenhcit flehte ich zuweilen zu Gott; doch tat ich eS wis-
sentlich mehr, weil es ihn „vielleicht" doch gab, sozusagen: um keine Chance zu ver-
nachlässigen, nnd war mir nebenher allzu klar: wenn cs ihn gäbe, könne er auf
cin solcheS Gebet hin sicherlich nichts tun . . . Zwifchen dem achtzehnten und dem
dreißigften Lebensjahre habe ich wie alle Mcnfchen viel von Religion gehört und
gelesen; mir begegneten religiöse Persönlichkeiten, ich las Tolftoj nnd Doftojewski,
dichterifche, gelehrte und ungelehrte Bücher aller Art. Bis auf den heutigen Tag ift
mir eine gewisse Unsicherheit geblieben darüber, was denn eigentlich Neligion
sei; ich urteile ungern über religiöse Dinge und Fragen, und ich verftehe religiöse
Mcnfchen nur auf Umwegen der Einfühlung; auch reizte es mich nic, all solchcn
Fragen viel nachzusinnen nnd nachzugehcn.

Hingegen weiß ich sehr genau zu sagen, welche Tatsachen und Vorgänge mich je
und je von Religiösem fernhielten und es mir zuweilen recht nbfcheulich machten.
Da ift anzuführen eine evangelifche Taufe, anläßlich derer unser Pfarrer allen Ernftcs
von sich gab, nun werde auS dem Kinde — es war meine Schwefter — dcr Teufel
auSgetrieben. Jch wollte durchaus mit solchem „Mittclalter" nichts zu schaffen
haben. Ähnliche, jedoch weniger krasse Begebcnheiten erlebte ich noch etwa drei.
Da ift ferner das zcitwcilige, vielleicht zufällig sehr ungünftigc Zusammentreffen
mit evangelifchen Paftoren; sie waren durchwegs Männer von wenig Geift und
Feingehalt. Noch heute muß ich geftehen, daß mir die berufmäßig, gegen Gehalt
bctriebene „Seelsorge" ein Greuel ift. Es gibt in meiner Bekanntfchaft allein ein
halbes Dutzend Männer — und Frauen! —, die unter anderem Seelsorge, uatürlich
entgeltlos, treiben; sie beraten privatim oder als Volkshochfchullehrer oder im Rahmen
ihrcr Berufsftellung junge oder leidende Menfchen freundfchaftlich, wie ich cs selbcr
auch tue; und wir bilden uns ein, dazu kaum minder befähigt zu sein als jene
„BerufSmäßigen". Denn — um noch cin Wort anS meiner heutigen ErkenntniS
 
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