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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1926)
DOI Artikel:
Rottauscher, Alfred: Ein Alpenländisches Bauernstück
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0394

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Em alpenländisches Bauernstück

Bon Alfred Roktauscher

as Spi'el, das hier in gekürzter Form mikgekeilk wird (ein „Hexenspiel" aus

dem Salzburgischen), ist ein Stück des alpenländlschen Bauernkheaters:

nicht etwa eines der „Ti'roler" oder „Oberbayrischen" Schauspielertruppen,
versteht sich, die im Umherziehen dramatisierte Ganghoferei betreiben, sondern eben
eines der Bauern für Bauern.

Die Gattung ist eine literar- und kulturhistorische Kuriosität. Wie einst vor
gotischem Münster entfaltet da noch heute die naive Geschichte vom Sündenfall
im Paradiese, die vom bethlehemitischen Kindermorde, die Legende von der hei-
ligen Genovefa ihre primitive Poesie; wie einst im Wirtshause Nürnbergs und
RegenöburgS klappert die Pritsche des Schalksnarren. Und wie damals ent-
stehen noch iminer diese Stücke ohne Derfasserehrgeiz, sehr oft anonym, mehr Kunst-
gewerbe als Kunst, gleich dem Volksliede aus dem Volke aufschwebend und zum
Volke als Allgemeingut wiederkehrend.

Überflüssig zu sagen, daß es veckehrt wäre, irgendein Werk solcher Art, also auch
diesen Einakter mit dem Maßstabe unsercr Bühne messen, von einem archaisieren-
den Spiele daS psychologische Rasfinement dcs modernen Theaters fordern zu
wollen. Wer ihm gerecht werden will, muß im Gegenteile, wie eS ja eben in den
Umständen gelegen ist, Geringes erwarten. Er darf von nichts als der Neugierde
getrieben sein, in welcher Weise wohl arbeitsmüde, harte Bergbauern einen be-
sonderen Feierabend ausfüllen und, da er nun erfährt, daß dies manchmal mit
Theaterspiel geschieht, begierig sein, wie wohl die Stücke aussehen mögen, die von
literarisch völlig unwissenden Menschen zu ihrer Erbauung gedichtet, gespielt und
gehört werden. Nur so wird er plötzlich staunend vor einer Bühne halten, die,
anderö als unsere literarische Bühne, durch Jahrhunderte frei von ausländischen
Einflüssen und in Wahrheit die nationale deutsche Bühne geblieben ist. So, nur
so auch wird er, über diesen engeren Begriff hinauswachsend, noch etwas Höheres
als Gewinn ziehen: daß, allem Skeptizismus zum Trotze, der Trieb zur Kunst
unS Menschen genau so ursprünglich wie Hunger, Durst und Liebe eingeboren ist.
Was vom Inhalte gilt, gilt naturgemäß auch von der Darstellung. Kcine prunk-
vollen Theater und keine Schauspielvirtuosen stehen ihr zur Derfügung. Sie ist
nichts wie das ländliche Ereignis in einer jener langen Winternächte zwischen Christ-
fest und Mittfasten, die nach dem Aberglauben der Berge voll seltsamer Dinge
und dunkler Geheimnisse sind: Zu solcher Zeit werden die Spiele von Dilettanten
in einem der behäbigen Gasthöfe aufgeführt, die an der Hauptstraße des Ortes
stehen. Schneestürme durchbrausen dann die bergeingeengte Welt der verwehten
Wälder, vereisten Bäche und des weißvergrabenen Dorfes. Drinnen aber, in der
getäfelten Gaststube ist freundlich der Kachclofen geheizt. Beim Knistern seiner
harzigen Scheiter sammelt sich das Publikum nicht anders als an gewöhnlichem
Festtage an den Tischen. Das Alter spricht von Feld und Vieh, die Jugend ist
derb mit derben Grisfen, die Kellnerin schleppt Schüsseln nahrhafter Würste und
schwenkt die Maßkrüge. Nur Girlanden von Tannenrei'si'g verraten den be-
sonderen Tag. Und der Hanswurst natürlich, eine weißgekleidete Figur mit kegel-
förmiger Mütze, Pappendeckelnase und Wollschnurrbart. Er empfängt die Gäsie
mit dem Teller, auf den sie ihren Beitrag legen, läuft von Tisch zu Tisch und reißk
Possen, Scherze, mit denen er (ähnlich wie im barocken Theater Spaniens) auch die
Pausen der Vorstellung auszufüllen hat. Zu deren Ende aber wird er, damit die
poetifche Gerechti'gkeit nicht zu kurz komme, die Hexe unter allgemeinem Beifall
verprügeln.

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