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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 4 (Januarheft 1926)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0244

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Lose BläLLer

Der Weg zu den Menschen

Don Werner Jlling
/^->^>arji'm und Halkan waren Brüder.

> Tarjim jagte den zotteligen Jak mit dem Speer. Sein Pfeil erlegte das Berg-
^^schaf. Bruft an Bruft rang er mit dem fchwarzen Panther und zerfchmet-
terte mit der Faust seine grünen Lichter. Deö Nachts vor der Höhle fchrie er die
Sterne an wie Feinde, die um weniges ferner lauern, als der Pfeilschuß reicht. Seine
Arme tauchte er in das fchwarze Blut der Ebenen, die tief zu seinen Füßen ,'m
Dunkel verendeten. Nach dem Mond, der vorsichtig über die Brustwehr der Berge
kroch, warf er mit Steinen, und wenn diese im Tal aufschlugen, sah er, daß daö
gelbe Tier getroffen zuckte und in die Höhe des Himmels floh.

Aber Halkan melkte die Ziegen und übte das Schweigen.

Tarjim verachtete die Berge, denn sie beugten ihren Nacken unter seinem Fuß:
Zuweilen, nach den großen Regengüssen, kämpfte er mit dem Wildbach und hielt
ihn wegen seiner Stärke für würdig, sein Ahn zu sein. Dann löschtkj die Sonne
die brausende Kraft hinweg und Tarjim fchämte sich seiner Bertraulichkeit.

Tarjim reizte durch Hohn den Bruder, stieß ihm die Milchnäpfe um, würgte seine
Ziegen, trat nach ihm, wenn er fchlief, mit dem Fuß, als halte er ihn für ein!
2las, das man verächtlich aus dem Wege fchiebt. Er wußte, daß Halkan gewaltige
Kräfte besaß, denn er hatte gesehen, wie dieser, um die Höhle zu verbessern, riesige
Felsblöcke beiseike trug, als seien es faustgroße Steine. Darum versuchte er den
Bruder zum Streit zu reizen. Viclleicht würde Tarjim unterliegen. Aber nach welchem
Kampf! Stöhnen würde die Erde unter der hingefchmetterten Wucht des LeibeS.
Jn seine Schlupfe verkröche sich jeglicheö Getier vor dem Wutgebrüll der Ringer.
Die heldifche Sonne würde im Zufchauen ihren ewigen Weg verfehlen. blnd wie
geängstetc Vögel flatterten verstört die Sterne im Käfig der Nacht.

Eines Atem würde den andern überdauern. O Augenblick des Siegs, da das Knie die
Brust deö Unterlegenen in den Staub drücken würde. Wer dann Sieger bliebe, vor
dem würden selbft die Dämonen, Blitz, Sturm und Steinschlag zittern.

Unablässig träumte Tarjim von diesem Kampf. Er dachte sich Finten und Griffc
aus, übte an Wölfen die Kraft seiner Würgefaust und härtete seine Schenkel durch
Ritte auf ungezähmten Bergbüffeln.

Doch Halkan erwiderte seinen Hohn mit stummem Lächeln. Die umgestoßenen Milch-
näpfe füllte er geduldig von neuem. An Stelle der gewürgten Ziegen fing er sich
andere und zähmte sie. Und wenn ihn Tarjim im Schlaf trat, daß er erwachte,
rücktc er still beiseite, als glaubte er, der Bruder habe zu wenig Raum für seine Lager-
ftatt gehabt.

Einmal, des Morgens, als Halkan vor der Höhle ftand und das Steigen der Sonne
betrachtete, sprang ihn Tarjim an wie der Tiger den Elefanten. Die Fäuste krallte
er um den Hals des Bruders und versuchte ihn herniederzuzerren, ihn ankeuchend,
er solle sich seines Lebens wehren. Da ergriff Halkan ruhig die Handgelenke des
Wütenden, löste mit unwiderstehlicher Kraft die Umklammerung von seinem Körper
und hielt den vor Zorn rasenden Bruder so lange reglos von sich ab, bis dieser
fchwankte und den Angriff vergaß. Jndessen betrachtete er ruhigen Augeö das
Steigen der Sonne.

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