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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1925)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Conrad Ferdinand Meyer: zum 100. Geburtstag des Dichters
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Grahl, Franz: Die Oper in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0022

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Größe, rne ohne wahrhast adlige Gebärde, di'e das Kostüm einer großen Zeit noch
ansfüllt, obwohl die Weltangst leise in ihr zittert.

Persönli'chkeit — das war die Sehnsucht Meyers. Und doch wußte er zugleich,
daß sie nur in Zeiten deS Derfalls mögli'ch war. Deshalb erbli'ckte er in weiter
Ferne bisweilen noch das höhere Ziel der Gemeinschaft, aber — selbst sein Hutten
stirbt zuletzt, zwar innerlich bestiedigt, doch klösterlich einsam, auf der Jnsel Ufnau.
Nietzsche zerbrach, Conrad Ferdinand Meyer retteke sich in die Dichtung und in
ihr in die Vergangenheit. Er formte kein Postulat fur die Zukunft, er sah rück-
blickend die Gesetzmäßigkeit alleS Weltgeschehens, die nur dem innerlich Beteiligten
zur Tragik wird. Er sah auch die Tragik, aber er mied die Tragödie. Letzten
Endes ließ er die Frage der Willenssteiheit offen und schulte sich am Anblick des
ewigen Kräftespiels der Gefchichte.

Der Marchese im „Pescara" spricht die Grundhaltung Meyers aus, die allen seinen
Werken eigen ist: „Die Gegenwart ist stech. Die Mwesenheit aber, die vergißt,
ist gedankenlos. Jch preise die gegenwärtige Abwesenheit: die Sehnsucht."

Eugen Kurt Fischer

Die Oper in Deutschland

/-^s ist eine selbstverständliche Wahrheit, daß ideale Kunsiverhältnisse nur in
I o einer zukünstigen Gesellfchasi möglich sein werden, die ein tiefes Verständnis für
die Bedeutung der Kunst im Leben errungen haben wird. Heute müssen wir uns
mit relativen Leistungen und Werten begnügen; mit den vorhandenen Mitteln
und Kräften müssen wir daS höchste Erreichbare anstreben. Es gibt auf der Erde
kein Volk, das der Kunst, und gar der dramatischen Kunst, so große Opfer brächte
wie das deutfche; wir hätten in Deutschland ein wahres Theaterparadies, wenn
durch bessere Leitung und Organisation die ökonomischen Mittel und alle Kräfte ziel-
strebig und voll ausgenützt würden. Die Opernbühne im Besonderen steht nicht
mehr auf der Höhe der Vorkriegözeit, obgleich wir in mancher Beziehung künstle-
rifche und soziale Fortschritte im Opernwesen anerkennen müssen.

Suchen wir nach den Gründen hierfür, und nach Möglichkeiten, die Verhältnisse
zu bessern, so mag sich ein Dergleich zwischen gestern und heute als fruchtbar er-
weisen.

Deutschland ist das einzige Land der Erde, wo man einigermaßen würdige Opern-
zustände antrifft, selbst unter den heutigen Umständen werden hier den Bühnen
bedeutende Summen geopfert; in zahlreichen Mittelpunkten der Musikpflege wird
wahre Kunst dargeboten und zuweilen Bedeutendes erreicht. Umso dringender scheint
es notwendig, das längst Erlangte weiterhin zu erhalten; verlöre Deutschland seine
führende Stellung, so käme die musikdramatische Kunst ihrem Untergang nahe.

Jn Frankreich haben die Provinzbühnen weder künstlerische Bedeutung, noch nen-
nenswerten Einfluß. Paris mit der Grand Opera und der Opera Comique be-
deutet dort alles; doch sind beide Bühnen altmodisch, schwerfällig und in höchstem
Grade konservativ. Nur Geld oder Protektion öffnen die Tore dieser „Kunstaka-
demien"; die Pflege lebendiger Kunsi ist ihnen fremd. Bestünde nicht eine gesetz-
liche Verpflichtung, von jedem Träger des alljährlichen Rompreises ein Werk auf-
zuführen, so würden auch die lebenden französischen Komponisten von ihnen auS-
geschlossen sein. Seit fünfzig Jahren kündigen die Plakatsäulen auf den Pariser
Boulevards regelmäßig dieselben Namen an; nur ein paar Weltberühmtheiten ersten
Ranges sind dazugekommen. Man hat diese alten Opern, diese Nationalbühncn
Frankreichg, einem kecken Ausdruck bezeichnet: „Konservenfabriken"! und wer
sie kennt, weiß, warum . . .
 
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