DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1925)
DOI Artikel:Trentini, Albert: Erlebnis, Wille und Genius: zu Fritz von Unruhs Pazifismus
DOI Artikel:Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0073
Solange es von Frankreich erzählt! Denn plvhlich — und dleö Schnippchen,
welchcs das Leben (und auch Dlchtung ist Leben!) unversehens dein Pazifistcn Unruh
spielt, ist sv ergötzlich, daß jeder noch ein bißchen Lebendige davor in die Händc
klatschen muß — plötzlich ist der Pazisist, wenigstens dcr redende, händedrückende, an
die Brust sliegende, dahin, und der vollebendige Dichter da! Dies ereignet sich, rvie
gesagt, jäh; gerade erst ist Unruh oom dichterisch unsruchtbaren Gestade Frankreichs
weg nach England gekommcn und schimpst hier über Wembley, Reklame, Kino,
Bariete und Theater, und aus einmal — ist er in Granchester! Granchester?
Jn Granchester! Und hier nun, als ob ein geborener Barde die Litanei, die er,
vbwohl auS dem Jnnersten müssend, doch herzlich schlecht gesungen hat, in den
nächstbesren Dusch schmisse, nüt brennender Hand die verworfene Leier wieder aus-
grisse und alle mühsam in der Brust gestaute Wonne des Lebens, ohne lang Worte
zu suchen, in die Welt hinausschmetterte; so plötzlich fährt aus dem Pazifisteu Unrnh,
in Granchester, der Dichtcr Unruh! Der dcutsche Dichter von Gotteü Gnaden!
Und du, Leser, liesest nun sreudig, und das Blut, das in Paris Limonade geworden
war, stürzt dir rot und heiß in die Adern zurück; und das Ohr, daü in Paris
Rosenblättchen sallen hörte, jauchzt auf im vertrauton Bann des GeniuS, dcr
Musik auü der Gesialt und Sinn aus dem Ton zeugt; und riesenhaft lächelnd reckt
sich aus dem Geschiebe der Erden, die der Sänger leicht bewegt, der triumphierende
Turm des LebenS aus, das in Paris ein hilfloses Müllhäufchen gcwesen! Wahr-
haftig, diese halbhundert Seiten im „Flügel der Nike" sliegen wie Flügel der
Mke, und der ehrwürdige Torso des steinernen windverwehten Griechinnenkleidö im
Louvre wird es am Besten verstehen, wenn wir, obwohl Freunde des Friedens,
am Ende dem Dichter den Lorbeer reichen, dsn er sich, kämpsend gegen den
eigenen Atem, redlich e r sang! A. T.
Vom Heute fürs Morgen
Zugoögel
or ciniger Zeir gab eü cinen Film zu
schen: M ir dcn Zllgvögeln nach
A s r i k a. Eine jener glänzendcn Filin„dich-
tungcn", die nichts zcigen alü Wirklichkeit,
nacktc Wirklichkeit, und doch so kraumum-
klungcn, so phantasicbeschwingend tvirken wie
kcine crfundcne Filmzauberei noih je. Der
schwcdische Forscher und Schristsicller Bcngk
Berg hattc ihn aufgcnommen.
Derg isi uns ein lieber Bekannter. Vor
Jahren ließ er eincn Roman „Der Seefall"
crscheinen, darin Bären- und Mcnschcnlebcn
zu cincr seltsamcn Einheit von Urnatur ver-
woben warcn. Ein zweiter, mehr litcrari-
scher Roman folgte, „Gcnezarcth". Wäh-
rend dcü Krieges dann ein nichl ganz ge-
glücktcr politischer Roman. Etwas später
sah ich bci Bj. Björnson ein slhwcdischcs
Buch von Bcrg, darin cr schilderke, wie cc
hoch in Lappland cin überaus scheues Dogel-
paar in wochenlanger Mühe beschlichen und
ganz zahm gemacht hatte: ein Wundcrwerk
vvn Hingabc an die unscheinbarste, span-
ncndste und sinnverzehrcndste Ausgabe und
ein Bcweiü höchslcntwickclter photographi-
schcr Technik. Dann kam der Film. Und
nun erschicn bci Dictrich Rcimer ein Buch
mit izo Abbildungcn, bctitclt wie dcr Film:
„Mit dcn Zugvögcln nach Asrika".
Bcrg erzählt, wic er als Kind die wundcr-
vollen Kranichc, die größtcn und stolzcsicn
Vvgcl zweier Kontinente, dic wir eigcntlich
nur auü dem Jbykuü-Gcdicht kenncn, im
hohcn Nordcn flicgcn sah, wie eine starke
wisscnsdurstige Neugier ihn sein Leben hin-
durch bcglcitct hat, wie cr alü Erwachsener
endlich dic hochnordischcn Standorte der
Kranichc gefundcn und wochcnlang mit tau-
scnd Vorslchten und unter bedeutendcn köi-
pcrlichcn Unbildcn bcschlichcn und die Tierc
photographicrt hat. Dann aber hat er sich
aufgcmacht und den sinnbctörcnd hcrrlichen
Masscnflug der Tierc, jencs erstaunliche
Momcnt dcr Erinnerung an die Eiüzeit, daü
„Zichen", verfolgt. llber Südcuropa und
Klcinasien hin nach Ägypten ging dcr Wcg.
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welchcs das Leben (und auch Dlchtung ist Leben!) unversehens dein Pazifistcn Unruh
spielt, ist sv ergötzlich, daß jeder noch ein bißchen Lebendige davor in die Händc
klatschen muß — plötzlich ist der Pazisist, wenigstens dcr redende, händedrückende, an
die Brust sliegende, dahin, und der vollebendige Dichter da! Dies ereignet sich, rvie
gesagt, jäh; gerade erst ist Unruh oom dichterisch unsruchtbaren Gestade Frankreichs
weg nach England gekommcn und schimpst hier über Wembley, Reklame, Kino,
Bariete und Theater, und aus einmal — ist er in Granchester! Granchester?
Jn Granchester! Und hier nun, als ob ein geborener Barde die Litanei, die er,
vbwohl auS dem Jnnersten müssend, doch herzlich schlecht gesungen hat, in den
nächstbesren Dusch schmisse, nüt brennender Hand die verworfene Leier wieder aus-
grisse und alle mühsam in der Brust gestaute Wonne des Lebens, ohne lang Worte
zu suchen, in die Welt hinausschmetterte; so plötzlich fährt aus dem Pazifisteu Unrnh,
in Granchester, der Dichtcr Unruh! Der dcutsche Dichter von Gotteü Gnaden!
Und du, Leser, liesest nun sreudig, und das Blut, das in Paris Limonade geworden
war, stürzt dir rot und heiß in die Adern zurück; und das Ohr, daü in Paris
Rosenblättchen sallen hörte, jauchzt auf im vertrauton Bann des GeniuS, dcr
Musik auü der Gesialt und Sinn aus dem Ton zeugt; und riesenhaft lächelnd reckt
sich aus dem Geschiebe der Erden, die der Sänger leicht bewegt, der triumphierende
Turm des LebenS aus, das in Paris ein hilfloses Müllhäufchen gcwesen! Wahr-
haftig, diese halbhundert Seiten im „Flügel der Nike" sliegen wie Flügel der
Mke, und der ehrwürdige Torso des steinernen windverwehten Griechinnenkleidö im
Louvre wird es am Besten verstehen, wenn wir, obwohl Freunde des Friedens,
am Ende dem Dichter den Lorbeer reichen, dsn er sich, kämpsend gegen den
eigenen Atem, redlich e r sang! A. T.
Vom Heute fürs Morgen
Zugoögel
or ciniger Zeir gab eü cinen Film zu
schen: M ir dcn Zllgvögeln nach
A s r i k a. Eine jener glänzendcn Filin„dich-
tungcn", die nichts zcigen alü Wirklichkeit,
nacktc Wirklichkeit, und doch so kraumum-
klungcn, so phantasicbeschwingend tvirken wie
kcine crfundcne Filmzauberei noih je. Der
schwcdische Forscher und Schristsicller Bcngk
Berg hattc ihn aufgcnommen.
Derg isi uns ein lieber Bekannter. Vor
Jahren ließ er eincn Roman „Der Seefall"
crscheinen, darin Bären- und Mcnschcnlebcn
zu cincr seltsamcn Einheit von Urnatur ver-
woben warcn. Ein zweiter, mehr litcrari-
scher Roman folgte, „Gcnezarcth". Wäh-
rend dcü Krieges dann ein nichl ganz ge-
glücktcr politischer Roman. Etwas später
sah ich bci Bj. Björnson ein slhwcdischcs
Buch von Bcrg, darin cr schilderke, wie cc
hoch in Lappland cin überaus scheues Dogel-
paar in wochenlanger Mühe beschlichen und
ganz zahm gemacht hatte: ein Wundcrwerk
vvn Hingabc an die unscheinbarste, span-
ncndste und sinnverzehrcndste Ausgabe und
ein Bcweiü höchslcntwickclter photographi-
schcr Technik. Dann kam der Film. Und
nun erschicn bci Dictrich Rcimer ein Buch
mit izo Abbildungcn, bctitclt wie dcr Film:
„Mit dcn Zugvögcln nach Asrika".
Bcrg erzählt, wic er als Kind die wundcr-
vollen Kranichc, die größtcn und stolzcsicn
Vvgcl zweier Kontinente, dic wir eigcntlich
nur auü dem Jbykuü-Gcdicht kenncn, im
hohcn Nordcn flicgcn sah, wie eine starke
wisscnsdurstige Neugier ihn sein Leben hin-
durch bcglcitct hat, wie cr alü Erwachsener
endlich dic hochnordischcn Standorte der
Kranichc gefundcn und wochcnlang mit tau-
scnd Vorslchten und unter bedeutendcn köi-
pcrlichcn Unbildcn bcschlichcn und die Tierc
photographicrt hat. Dann aber hat er sich
aufgcmacht und den sinnbctörcnd hcrrlichen
Masscnflug der Tierc, jencs erstaunliche
Momcnt dcr Erinnerung an die Eiüzeit, daü
„Zichen", verfolgt. llber Südcuropa und
Klcinasien hin nach Ägypten ging dcr Wcg.
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