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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 1 (Oktoberheft 1925)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0074

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Aber keine Kraniche warcn im Pharaoncn-
land. Erst am wcißcn Näh tief drunten
im heißesten Süden, gerät der Sucher in
ein unerhörtes, nie geseheneS DogelparadicS,
wo er dann neben Nilpferden und Krokodilen
Dutzendc und Aberdutzende von Dogel-Arten,
Hunderttausende r>on Dögeln, und unter ihnen
cndlich auch die großen Scharcn der stolzen
Kraniche rntdeckt. DaS Geheimnis deS Do-
gclflugcS ist entfchlciert, und vhne Gewchr,
nur mit Klugheit, Fein-Sinn und Kamera
hat Berg es nach gewohnter Meistcr-Art
restloS cnthüllt.

Jch bcwundere diescn Mann und dieseS
Buchl Es liegt eine zarte Jnbrunst, einc
uiwerglcichlich gefchmeidige Willenskraft, cine
ticffühlig oerstehende Liebe in seincm Trei-
bcn. Mit „Mcnschenwitz und Mcnschcnlist",
die cr als wahrhaft vornehmc Natur aus-
fchlicßlich anwendet, um zu forschen, zu
schaucn, abzubilden, enträtselt er einS der
großen Rätsel, die uns schwingend umgeben,
und schenkt uns cinen Zaubersaal oon Na-
turbildern, den man nicht ohne Bcben be-
trachtet. Und wie rein, wic sauber er seine
Riescnarbcit schildcrt; jeder kleine Teil ist
durchgcistigt von dem glcichen Wollen und
Wcscn, daS mitten in lächelnder Erzählung
von hundert kleinen Abenteuern und Tier-
romanen unS zuzuflüstern scheint: Seht, daS
alleS kann man erlcben und erschauen —
und waS trcibt ihr?

Sicherlich wird irgendein Ahndcloser ant-
worten: WaS ist schvn gewonnen, wcnn
man nun weiß, wo die Dögcl hinzichen? Jn
Wahrheit: Nichts! Gar nichtS. Man wciß
es nun, und man wird es einmal in die
Schul-Lehrbücher druckcn: „Gewisse Dogcl-
arten wie Störche, Reiher, Kraniche pslegcn
Europa !m Herbst scharwcise zu vcrlassen
und den wärmeren Südcn aufzusuchen.
Jhren Wcg nehmen sic vielfach über Pa-
lästina; ihr Endziel ist nach Bcngt Berg
dcr mittlere wciße Nil in Asrika, wo sic
den Winter verbringen, um im Frühjahr.. ."
Soweit daS Schulbuch. Lebendig cmpfun-
den, sieht dicö anders aus. Diese „ziehen-
dcn" Scharen, Sinnbild cineS brenncnden
Urgefühls, eincr unaussprechbaren Schnsucht
nordischcr Lebewesen, verwirklichcn einen
Traum. Es mag die Zeit kommcn, da der
Mensch wicder einmal ihrem Beispiel sol-
gen wird, folgcn muß. Mit ihrcm scltsamen
Lebcn gemahncn sie unS an die Kürze unsc-
rer Menschengeschichte, an die übermensch-
lichen Erdmächte, denen wir unwissentlich
unkertan sind, Indcm wir unseren göttlichen

Verstand zum zcitlichen Wahnsinntreibcn
mißbrauchen; sie füllen einen Teil unseres
WcltbildeS mik dem Rauschen ihrer großen
Schwingcn und heben unser Gefühl aus der
Dumpfhcit des TageS in die weite Luft der
^ahctausende. . . Sch

Berliner Theater

it Beginn dcr neuen Spielzeik ist in
dcn Berliner Theatern eine Umgrup-
picrung dcr Kadcr und KommandoS vor
sich gegangen, wic sie auch auf dicscni un-
ruhigcn und wechselreichen Boden lange nicht
da war. Bühnen, die eng miteinander ver-
klammcrt waren, sind auSeinander gerissen,
andre, die bisher in heftigem Kvnkurrenz-
kamps standcn, sind unter eincn Hut gc-
bracht worden, noch andre, die bis dahin dem
crnstcn Schauspiel gehörten, haben sich der
Operette oder der Revue oerschricben, und
eine oder zwei haben cü sogar — seit Jah-
rcn ein unerhörteS Ereignis im Bcrliner
Theaterwescn! — vorgezogen, ihre Lampen
einstwcilen ganz zu löschcn. Abcr so gründ-
lich die Bäumchen da auch verwcchsclk, die
Würfel auch durcheinandergeschüttelk worden
sind, ein Programm, Zielpunkte und Richt-
linien für ihre Häuser aufzustellen, ist doch
keincm der ncuen oder altcn Hcrren ein-
gefallen. Der eine hat sich nach ein paar
nichtssagenden und zu noch weniger ver-
pflichtenden Einlcitungsworten scincs Drama-
turgcn, dcr auf dcn Ausglcich der Gegcn-
sätze „Thcatcr", und „Drama" hostt und
nach dcm die tragischcn Konfliktc unsrer
Zcit meistcrnden Dramakiker Ausschau zu
halten verspricht, von Schauspielern, Dich-
tern und Gclehrten die bei solchen Gelcgcn-
hcitcn üblichcn, mehr oder weniger geist-
rcichen AphoriSmcn und Gedankensplittcr inS
Album schrciben lasscn; der andre hat dcn
Gcist der Dergangenheit beschworen, dcr dcS
Bcrliner ThcatcrS und seiner eignen, hat unS
scin und seincr Schauspieler Bildnissc vor
Augcn gcführt und wohlwollende Kritiker
ihr Spcüchlcin dazu sagen lassen; der drittc
hat durch dcn Mund dcr Presse — zum wic-
oieltcn Malc? — vcrsprochcn, daß cr hinfort
nichr als bisher selbstclgcn dcn Mann im
Hause spielen werde — — keincr von allen
hat vcrkündet, wohin er steuern will, keiner
hat sich zu ciner bestimmten künstlerischen
Weltanschauung oder GeschmackSrichtung be-
kannt, keincr hak, wozu die Zeit doch wahr-
haftig rcif wäce, den Willen und den Muk
bckundet, dem zersctzcnden und crniedrigen-
 
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