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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 2 (Novemberheft 1925)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0096

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Lose Blätter

Aus Jean Pauls Schristen

Mon Jean Pauls Dlchtung durch kleine Proben etwas Wesentliches zeigen zu
wollen, wäre vergebene Mühe. Jhr Kennzelchen ist überströmende Fülle. Don
seinem Gedankenschasfen aber geben wir im Folgenden eine umsassende Auswahl.

Wir entnehmen sie der ersten Dürerbund-Klassiker- Ausgabe, die soeben
erschienen ist: einer dreibändigen Auswahl aus Jean Paul, crschienen bei Hermann
Hillger, Berlin. Mit dicser Auswahl macht der Dürerbund den Versuch, von einem
bedeutenden, allzu fruchtbaren Dichter genau daS zu niederem Preis zu bieten, was
einer großen Schar heutiger Leser noch zuzumuten aber auch wirklich für sie fesselnd
und fruchtbar sein mag. Neben Romanen (die gekürzt worden sind, wie es die
unsägliche Langatmigkeit Jean Pauls nahelegt) erfcheinen Novellen, neben beiden
größere Stücke aus der Ästhetik und der Erziehlehre, endlich Aphorismen, kleinere
Prosastücke von der Art des „TraumS über dem All" und die reizende Selbst-
bwgraphie. Wir legcn auch den Kunstwart-Lesern diese Ausgabe nachdrücklich nahe.
Sie wird eingeleitet durch einen längeren AufsaH von Marianne BrunS — den-
selben, der dieses Kunstwart-Heft eröffnet. KL)

<^^^vir wollen das Bild der Griechen noch mit folgenden ZusäHen ergänzen.

^ >ErstIich, ihr Musenberg stand gerade auf der Morgenseite in Blüte;
die fchönsten, einfachsten Menschenverhältnisse und Verwicklungen der
Tapferkeit, der Liebe, der Aufopferung, des Glücks und Unglücks nahmen die GIück-
lichen weg und ließen den späteren Dichtern bloß deren Wiederholung übrig und
die mißliche Darstellung der künstlicheren.

Ferner erscheinen sie als höhere Tote unS heilig und verklärt. Sie müssen auf uns
stärker als auf sich selber wirken, weil uns neben dem Gedicht noch der Dichter ent-
zückt; weil die fchöne reiche Einfalt des Kindes nicht das zweite Kind, sondern den
bezaubert, der sic verloren*, und weil eben die welke AuSeinanderblätterung durch
die Hitze der Kultur uns fähig macht, in den griechifchen Knospen mehr die zusam- '
mengedrungene Fülle zu sehen, als sie selber konnten. Ja, auf so bestimmte Kleinig-
keiten erstreckt sich der Zauber, daß uns der Olymp und der Helikon und das
Tempeltal und jeder Tempel schon außerhalb des Gedichtes poetisch glänzen, weil
wir sie nicht zugleich in nackter Gegenwart vor unseren Fenstern haben, so wie
ähnlicherweisc Hom'g, Milch und andere arkadische Wörter uns als Bilder mehr
anziehen denn als Urbilder. Schon der Stoff der griechischen Gedichte, von der
Götter- und Menschengefchichte an bis zur kleinsten Münze und Kleidung, liegt vor
uns als poetischer Demant da, ohne daß noch die poetische Form ihm Sonne und
Fassung gegeben.

Drittens vermengt man, wie es scheint, das griechische Maximum der Plastik mit
dem Maximum der Poesie. Die körperliche Gestalt, die körperliche Schönheit hat
Grenzen der Dollendung, die keine Zcit weiterrücken kann, und so hat das Auge
und die außen gestaltende Phantasie die ihrigen. Hingegen sowohl den äußeren als
den inneren Stoff der Poesie häufen die Jahrhunderte reicher auf, und die geistige
Kraft, die ihn in ihre Formen nötigt, kann an der Zeit sich immer stärker üben.
Daher kann man richtiger sagen: Dieser Apollo ist die schönste Gestalt, als: DieseS
Gedicht ist das schönste Gedicht. Malerei wie Gedicht ist schon weit mehr der roman-
tischen Endlosigkeit verwandt und verschwimmt sich oft sogar bei Landfchaften ganz
in dieselbe.

Unsichtbare Loge, i. S. IgP

dr
 
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