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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1925)
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Jean Paul: zu seinem 100. Todestag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0095

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die „Auswahl aus des Teufels Papieren" heraus, 1790 „Schulmeisterlein Wuz",
1792 „Die unsichtbare Loge", die den ersten Erfolg und das erste beträchtliche Geld
brachte. 1792 kam „Hesperuö" und verbreiterte seinen Ruf. Und endlich 1796
nach „Duintuö Flxlein" und den „Biographischen Belustigungen" der erste bedeu-
tende Roman „Siebenkäs".

Bon nun an reiste f^ean Paul viel herum und berührte Welt und Menschen. Mer
Jahre lang geschah nun ein merkwürdiges, schwärmerifches Hin und Her zwischen
dem Dichter und gescheiten Frauenzimmern. Charlotte v. Kalb und Emilie v. Ber-
lepsch trugen ihm quasi ihre Hand an. Er schlug sie nach langem Zögern aus. Mit
einer Hofdame in Hildburghausen, Karoline von Feuchtersleben, verlobte er sich,
brach aber den Bund nach einem Jahr wieder. sgnzwischen starb seine Mutter.
Er lerntc Goethe, Schiller, Herder, Wieland kennen, er verkehrte an dcn Höfen von
Weimar, Gotha, Hildburghausen und wurde von der Königin Luise nach SanSsouci
geladen. Das war 1800. Zu jener Zeit, bci seinem Berliner Besuche, lernte er Karo-
line, die Tochter des Geheimen Tribunalrats Maycr, kennen, heiratete sie alsbald
und beendigte mit dieser Handlung zwar nicht die herzliche Neigung zu schönen Frauen,
die ihn fortwährend verehrten, aber doch das ernsthafte und aufregende Hin und
Her. Er lebte mit Karoline glücklich. Merkwürdig scheint, daß Jean Paul in den
vier f^ahren wechselnder Liebesgefühle und Reisen nicht nur „Kampanertal", „Jubel-
senior" und „Palingenesien" gewissermaßen nebenher fertigmachte, sondern vor allem
den „Titan" dichtete.

Er ist sich allezeit treu geblieben: ob Fürsten und edle Frauen mit ihm verkehrten,
er blieb doch stets ein ziemlich ungehobelter Bürger mit vogtländisch angefärbter
Mundart, dem behagliche Kleinheit — so wie in der Joditzer Winterstube mit
Hunden, Dögeln, Taubenstall — die liebste Umgebung war. Seine Frau, liebenS-
würdig, sehr gebildet und ein wenig philisirös, verehrte und liebte ihn, sorgte gut
für sein leiblicheS Wohl — (auf welches auch er Wert legte; er wandelte sich von
1800 ab aus dem schlanken Jüngling allmählich in einen behäbigen Mann) — und
gebar drei Kinder. Er wohnte in Meiningen und Koburg und zog 180/s endgültig
nach Bayreuth. Da lebte er nun in einem behaglichen, kleinen Haushalt. Sein
Zimmer im Oberstockwerk war eng, ganz vollgekramt von Schriften und Büchern.
Jrgendwo stand Essen auf dem Tisch, ein Krug Bier oder eine Flasche Wein waren
bereit, die Kinder durften mit Trommeln und Trompeten um ihn lärmen, die zahmen
Vögel flogen herum, das Eichhörnchen hüpfte im Käfig, der weiße Spitz saß
in der Ecke, und Jean Paul lief mit rutschenden Socken in dem schmalen Gang
zwischen den überladenen Tischen auf und ab und dichtete. Am liebsten schrieb und
dachte er im Freien. Zwanzig Jahre lang ist er Tag für Tag hinaus nach der Ere-
mitage gcwandert samt Akten und Weinflaschen und hat bei der guten Wirtin Roll-
wcnzel im Grunen oder im Oberstübchen gesessen.

i6o/j erschienen die „Flegeljahre" und die „Vorschule der Ästhetik", 1607 „Levana",
1609 „Dämmerungen für Deutschland" und „Katzenbergers Badereise", 1612 „Leben
Fibels", 1614 „Mars' und Phoebus' Thronwechsel", 1616 „FriedenSpredigt in
Deutfchland gehalten" und 1620 der unvollendete Roman „Komet".

Seit 160g bezog er eine looo-Guldcn-Pension vom Fürstprimas v. Dalberg, 1617
wurde er Ehrendoktor der Univcrsität Heidelberg, 1820 Mitglied der Münchener
Akademie.

Jean Pauls Kinder wuchsen schön heran und erfreuten ihn. Aber noch vor seinem
Tode starb sein junger Sohn in Heidelberg, wo er studierte, zum großen Schmerz
seines Vaters.

Am ich November 182Z ist Jean Paul nach vorhergehender Schwäche und Er-
blindung im Schlafe gestorbcn. Marianne Bruns

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