gehobene Skimmnng sich zeigk. Solche Skimmnngsbrechung ist bei Schefsel ofk
anzutreffen. Sie mag nicht immer die ätzende Schärfe haben, die von Heine den
Schlußpointen seiner Dichtungen geschenkt wird. Abcr auch an dieser Stelle zeigt
sich, wie gern Scheffel sich der Ausdrucksformen Heines bedient. Er wahrt sein
Eigenrecht, indem er behäbigern Humor walten läßt.
Ob wohl bürgerlicheS Fühlen in der dritten Strophe nicht der Absicht widerstrebt,
eine treue Spiegelung des Mittelalters zu fchaffen? Schon Wolf muß dies ge-
meint haben. Richard Wagner, mag er uns heute sogar dann und ^ wann als
Derbürgerlicher germanifcher Überlieferung erfcheinen, mag er zuweilen die ftarre
Eröße nordifcher Göttersage ins ncuzeitlich Familienhafte umwandeln, er kann doch,
er will gchobene Stimmung länger fefthalten. Von Richard Wagner kam Hugo
Wolf. Jhm galt wohl die dritte Strophe für eine Entgleisung, auch vom gefchicht-
lichen Standpunkt. Es ift wesentlich, daß fchon Wolf daS empfand, was uns heute
selbftverftändlich geworden ift, uns, die wir ftolz sind, über die unheroifch bürger-»
liche Weltfchau des ig. Jahrhunderts emporzufteigen zu der Fähigkeit, sich im
höhern Sinn zu fassen.
Diese dritte Strophe ift wie ein Symbol der Grenzen von Schesfels Kunft. Es
widerfährt ihm leicht, gcrade dort noch weit BanalereS zu bieten, wo er ftarkes
Gefühl auSdrücken möchte. Da beginnt in der Sammlung „Gaudeamus" die vierte
Strophe des Gedichts „Trifels":
Jm ernften Auge sprüht' ein Feuer,
Als klirre fchon der Speere Krach:
„Konftanze, Weib, dem Herzen teuer,
Bald rächen wir SalernoS Schmach ..
Ein deutfcher Fürft des Mittelaltcrs, ein Riese an Tatkraft, der Hohenftaufe Hein-
rich der Sechfte, nimmt Abfchied von seiner Gattin. Und bei Scheffel spricht er sie
an: „Konftanze, Weib, dem Herzen teuer". Da hat Grabbe den rechten Ton doch
besser getroffen, mag er seinem sechften Heinrich auch ein bißchen zu viel von seinem
eigenen Wesen gefchenkt haben, von dem Wesen eineS Verfallsmenfchen vom An-
fang des ig. sgahrhunderts. Gern sei zugegeben, daß auch ein Meifter der Wort-
kunft, daß Platen, und zwar auf der Höhe seineS Schaffens, uns zuweilen Uner-
trägliches zumutek, wenn er in die Vcrgangenheit der Germanen zurückblickt. Fwar
den Rhythmus dcs „Grabs im Busento" kann ich nicht so unangemessen findcn, wie
das jüngft behauptet wurde. Jft's nicht, als hörte man tatsächlich Alarichs Goten
marfchieren, wenn es heißt: „Und den Fluß hinauf, hinunter ziehn die Schatten
tapfrer Goten, Die den Alarich beweinen, ihres Volkes beften Toten"? Allein
bedarf man wirklich eines Ohrs, daS durch die hohcn Ansprüche Stefan Georges
faft überempfindlich geworden ift, um ganze Reihen von Versen im „Klagelied
Kaiser Otto des Dritten" zu verwerfen? Wird selbft die Voraussetzung zngeftanden,
daß einer der Ottoncn Weltfchmerzftimmungcn einer viel späteren Zeit vorträgt,
es bleibt so viel Trivialität des Ausdrucks übrig, daß sogar geglücktere Auösprache
dieses Weltleids in ihr ertrinken muß. Wer kann den nötigen Ernft wahren, wenn
er die Derse spricht:
Vergebens mit Gebeten
Befchwör' ich diesen Bann,
Und mir entgegen treten
Creszentius und Johann.
Wohlgemerkt: welche BewandtniS es mit Creszentius und Johann hat, wird nicht
verraten. Doch wenn heute der Mehrzahl die beiden rätselhaft bleiben dürften,
so mag doch mancher wissen, welchen Heinrich und welche Mathilde daö „Klage-
lied" meint; werden darum die Verse besser?
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anzutreffen. Sie mag nicht immer die ätzende Schärfe haben, die von Heine den
Schlußpointen seiner Dichtungen geschenkt wird. Abcr auch an dieser Stelle zeigt
sich, wie gern Scheffel sich der Ausdrucksformen Heines bedient. Er wahrt sein
Eigenrecht, indem er behäbigern Humor walten läßt.
Ob wohl bürgerlicheS Fühlen in der dritten Strophe nicht der Absicht widerstrebt,
eine treue Spiegelung des Mittelalters zu fchaffen? Schon Wolf muß dies ge-
meint haben. Richard Wagner, mag er uns heute sogar dann und ^ wann als
Derbürgerlicher germanifcher Überlieferung erfcheinen, mag er zuweilen die ftarre
Eröße nordifcher Göttersage ins ncuzeitlich Familienhafte umwandeln, er kann doch,
er will gchobene Stimmung länger fefthalten. Von Richard Wagner kam Hugo
Wolf. Jhm galt wohl die dritte Strophe für eine Entgleisung, auch vom gefchicht-
lichen Standpunkt. Es ift wesentlich, daß fchon Wolf daS empfand, was uns heute
selbftverftändlich geworden ift, uns, die wir ftolz sind, über die unheroifch bürger-»
liche Weltfchau des ig. Jahrhunderts emporzufteigen zu der Fähigkeit, sich im
höhern Sinn zu fassen.
Diese dritte Strophe ift wie ein Symbol der Grenzen von Schesfels Kunft. Es
widerfährt ihm leicht, gcrade dort noch weit BanalereS zu bieten, wo er ftarkes
Gefühl auSdrücken möchte. Da beginnt in der Sammlung „Gaudeamus" die vierte
Strophe des Gedichts „Trifels":
Jm ernften Auge sprüht' ein Feuer,
Als klirre fchon der Speere Krach:
„Konftanze, Weib, dem Herzen teuer,
Bald rächen wir SalernoS Schmach ..
Ein deutfcher Fürft des Mittelaltcrs, ein Riese an Tatkraft, der Hohenftaufe Hein-
rich der Sechfte, nimmt Abfchied von seiner Gattin. Und bei Scheffel spricht er sie
an: „Konftanze, Weib, dem Herzen teuer". Da hat Grabbe den rechten Ton doch
besser getroffen, mag er seinem sechften Heinrich auch ein bißchen zu viel von seinem
eigenen Wesen gefchenkt haben, von dem Wesen eineS Verfallsmenfchen vom An-
fang des ig. sgahrhunderts. Gern sei zugegeben, daß auch ein Meifter der Wort-
kunft, daß Platen, und zwar auf der Höhe seineS Schaffens, uns zuweilen Uner-
trägliches zumutek, wenn er in die Vcrgangenheit der Germanen zurückblickt. Fwar
den Rhythmus dcs „Grabs im Busento" kann ich nicht so unangemessen findcn, wie
das jüngft behauptet wurde. Jft's nicht, als hörte man tatsächlich Alarichs Goten
marfchieren, wenn es heißt: „Und den Fluß hinauf, hinunter ziehn die Schatten
tapfrer Goten, Die den Alarich beweinen, ihres Volkes beften Toten"? Allein
bedarf man wirklich eines Ohrs, daS durch die hohcn Ansprüche Stefan Georges
faft überempfindlich geworden ift, um ganze Reihen von Versen im „Klagelied
Kaiser Otto des Dritten" zu verwerfen? Wird selbft die Voraussetzung zngeftanden,
daß einer der Ottoncn Weltfchmerzftimmungcn einer viel späteren Zeit vorträgt,
es bleibt so viel Trivialität des Ausdrucks übrig, daß sogar geglücktere Auösprache
dieses Weltleids in ihr ertrinken muß. Wer kann den nötigen Ernft wahren, wenn
er die Derse spricht:
Vergebens mit Gebeten
Befchwör' ich diesen Bann,
Und mir entgegen treten
Creszentius und Johann.
Wohlgemerkt: welche BewandtniS es mit Creszentius und Johann hat, wird nicht
verraten. Doch wenn heute der Mehrzahl die beiden rätselhaft bleiben dürften,
so mag doch mancher wissen, welchen Heinrich und welche Mathilde daö „Klage-
lied" meint; werden darum die Verse besser?
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