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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI issue:
Heft 5 (Februarheft 1926)
DOI article:
Walzel, Oskar: Joseph Viktor von Scheffel: zu seinem 100. Geburtstag, 16. Februar 1926
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0309

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Und tvcihrend, voll von Mllde,

Die fromrnen Hände legt
Mlr auf das HaupL Mathrlde,

Steht Helnrlch ticfbewegt.

So Übles widerfährt Scheffel kaum. Hat er doch ei'n Mlttcl, Trivi'ali'täten er-
trägllcher zu machen: seinen Humor. Aber dieser Humor und das Bewußtsein,
daß er dem Dichter freiere Bahn eröffnek und manchen Anspruch erspart, verleiten
Scheffel mitunter, seinen Gedichten etwaö wenig geifti'gen Ballaft zu spenden. Von
der Groteskkomlk der ,,Teutoburger Schlacht" oder deS „Schwarzen Walflfchs
zu Askalon" oder der „Lieder vom Rodenftein" wird kein Einsichtiger großen
Geiftesaufwand verlangen. Jndes den „Runglftein bei Bozen" hat Schesfel wirklich
mit wenig Eeift besungen. Wiederum ift alleS verbürgerlicht. Was der gefchicht-
lichen Dichtung des ganzen späteren ig. Jahrhunderts anhängt, herrfcht hier:
der absichtliche Mangel aller Diftanz. Es ift bürgerlich, um m'cht zu sagen:
philifterhaft, große Geftalten der Borwelt hinzuftellen, als wären sie wie heut-
zutage Hinz und Kunz. Die gewaltigfte Liebesleidenfchaft, von der daS Mittel-
alter wie von einem Wunder erzählte, die Liebe Triftans und JsoldeS, gerät hier
ins Alltägliche. Der Schluß des GedichtS eröffnet die Möglichkeit, daß mehr
oder minder jeder seine Jsolde haben kann, auch in unserer Zeit.

Dennoch besitzt dieS Lied neben seinem Humor noch etwas Bezwingendcs. Es
hat mindeftens einft auf viele bezwingend gewirkt. blnd sicherlich gibt es heute
genug Menfchen, die solchcn Zauber noch fühlen können. Es ift die Melodik der
Sprache. Das klingt wie Musik; wie eine Musik, die uns fröhlich macht, die
frifchen Schwnng fchenkt. Was gesagk ift, wird überkönt von dieser Kraft dcs
KlingenS. Da liegt wohl Schesfels eigentliche Kunft. Sein Ohr vernahm, was
er selbft erreichen wollte, aus den mittellateinifchen Dichtungen, vernahm eS auö
ihnen gerade im Gegensatz zu der klassifchen Poesie dcr Griechen. Hier war wirklich
etwas fur den Sang des ig. Jahrhnnderts zu gewinnen, das sogar den deutfchen
Nomantikern sich nicht erfchlossen hatte. Sie fühlten zwar — fchon Wacken-
roder, der feinfühlige Mnsikfreund — die Klangkraft latcinifcher Hymnik deö
Mittelalters. Auch Scheffel fchätzte sie hoch ein. Das wird bezeugt durch die
Anmerkung zum „Ekkehard", die den Tert von Notkers „Media vita in mortc
sumus . . ." wiedergibt. Aber eine andere Anmerkung bringt Verse aus einem
frühmittelalterlichen Nachtwachensang und rühmt ihnen nach, sie wettciferten an
Wärme und rhythmifchem Schwung nüt den Kriegsliedern aller Zeiten. „Gefahr
lehrt Derse machen", ruft Schesfel beglückt aus. Die Verse lauten (was ihnen
Schesfel nachsagt, ergibt sich jedem, der sie spricht, auch wenn er kein Latein ver-
fteht; übrigens bringt „Ekkehard" sie anch in dentfcher Sprache):

I'ortis iuventus, virtus auäLx bellica,

Vestra. per ruuros Luckiaritur cLrmiria,

Lt sit in arrnis Llteriia viKÜia,

idle IrLus Iiostilis Iiuec invaclLt iiioeiiia.

R.esulta.t eclio cornes: Lia, vixila l
b'er rnuros eia clicut eclio vißilu!

Noch greifbarer wird die Klangfreude mittellakeinifcher Dichtung ,'n der Samm-
lung der „Carmina Burana". Jhr eifern in unmittelbarem Anfchluß Gedichke der
„Frau Aventiure" nach. Ja zuletzt greift Schcffel selbft zum Latein und formt
Verse nach dem Mufter der Vagantendichtung deö Mittelalkerö. Das klingt
einmal so:

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