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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1926)
DOI Artikel:
Walzel, Oskar: Joseph Viktor von Scheffel: zu seinem 100. Geburtstag, 16. Februar 1926
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0310

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Li üceret te amare
Lä Luevorum mL§uum mare
spousLM te peräucerem...
stat ni§errimi basLitis
mous et arx, euius sub ultis
muris te recouclerem.

Gewiß isl es mehr Scheffel als alte Goliardenpoesle. Man hört aus den latei-
nifchen Versen den RhythmuS sei'ner deutfchen Lleblinggftrophen heraus. Solchen
Wechsel von vier- und dreihebigen Versen hat Scheffel an alle erdenkbaren Stoffe
angewendet. Auch da ift Heine sein Borgänger. Wir sind heute dieser Rhythmen
überdrüssig. Nicht bloß Stefan George hat sie uns abgewöhnt. Schon Arno Holz
meinte sie, als er gegen den „geheimen Leierkaften" eiferte, den er in der Mehrzahl
deutfcher lyrifcher Dichtungen verspürte.

Dennoch fteht etwas bei Schesfel im Hintergrund, um das wir ihn beneiden.
Jhm war wie der deutfchen Romantik germanifche Dorzeit noch etwas Lebendiges
und er setzte sie in Leben um. Der Welt ift inzwifchen solche Stimmung fremd
geworden. Kühl und vorsichtig sucht der Fachmann sich ihr zu entziehen. Er
wittert in ihr Anlaß zu schweren Täufchungen. Und mit Recht. Denn selbft-
verftändlich vergewaltigt, wer AlteS derart in den Dienft des Tages ftellt, dieses
Alte. Er flößt ihm die Stimmung seiner nächften Umwelt ein. DaS ift ja,
was jetzt Scheffel verdacht wird. Hat aber Arnim nicht Gleiches getan, als er
alte deutfche Volkslieder im „Wunderhorn" seiner Mitwelt mundgerecht machte?
Was er fchuf, hatke Lebenskraft, genug Lebenskraft, um auf lange Zeit hinaus
deutschen Sang zu befruchten. Gelehrt genaue Arbeit kann das nie leiften.
Scheffel hat viel versehen, indem er die Entfernung zwifchen einfi nnd jetzt ver-
ringcrte. Aber wer mit ihm ging, konnte sich eines feften VerhältnisseS zu deut-
fcher Dergangenheit freuen. Uns ift das ebenso verloren gegangen, wie ein fefteü
Verhältnis zur Antike und die selbftverftändliche Vertrautheit mi't ihren Dichtern.
Wer lieft heute noch Horaz im Sinn deS eigenen LebenS? Das 18. Jahrhundert
hatte das noch vermocht. Es fühlte sich und mit Recht auch seine Kultur dadurch
bereichert und vertieft.

Den Ausklang der Zeit habe ich noch miterlebt, die etwa am Bodensee den Spuren
von Scheffels Dichten, zunächft des „Ekkehard", nachging. Vertraut war durch
ihn vieles, an dem der Wanderer heute achtloö vorbeieilt. Wie eine Schatz-
kammer von Erinnerungen auS altdeutfcher Zeit wirkte die Gegend. Hat doch
Scheffel auch mit Willen verwertet, waö durch alte llberlieferung diesem oder
jenem Ort, vor allem seines lieben Hegauö, zugesprochen war. Abermals zeigen
die Anmerkungen zu „Ekkehard", wie das entftanden ift. Mit sichtlicher Freude
eröffnet Scheffel hier Einblicke in sein Schasfen. Er möchte zeigen, wie echt ift,
waö er berichtet, vielleicht auch, wi'eviel Leben er aus ein paar verftreuten Notizen
holt. Eine saftvolle Geftalt, die ihm aus ein paar Sätzen seiner Ouellen erwachsen
ift, der irifche Leutpriefter Moengal, einft ein angesehener Gelehrter im Sankt-
Galler Klofter, jetzt ein trinkfefter Jäger, zeigt, was Scheffel lockt und was ihm
am beften glückt. Wo burschikoser Humor sich ausleben kann, wo er groteök
werden darf, leuchtet heute noch sein Werk. Noch wenn die Hunnenfchlacht zu
berichten ift, kommt er zu seinem Recht. Selten nur bleibt ihm solcher Erfolg, wo
er ernftere Töne anfchlägt. Jn den zwei erften Strophen des „Biterolf" ift ihm
auch das gelungen. Oskar Walzel

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