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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI issue:
Heft 5 (Februarheft 1926)
DOI article:
Feldkeller, Paul: Der Domestizierte Mensch
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0312

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noch billig; im Kriege, im Bergwerk, auf den Beförderungsmitteln tvird es un-
bedenklich und vorsätzlich (denn man kennt die Statiftik) der Politik und der Wirt-
fchaft geopfert, aber für seinen Glauben läßt sich niemand mehr totfchlagen.

Der Märtyrer zeugte für Gott, aber der heutige Menfch bekennk nur den Gott,
der für ihn zeugt.

Dieser Mangel an Pathoö, an Größe und Stärke der Überzeugung tvird also durch
die moderne Scheinreligion nicht widerlegt. Diesem Mangel muß doch aber etwas
Positives zugrunde liegen. Wenigftens wollen wir uns positiv ausdrücken. Daß
die seelifche Subftanz fchlechter, mi'nderwertiger geworden sei, haben wir anzu-

nehmen keinen Grund. Es sind ungünftige Verhältnisse, die früher fehlten. Und

der Menfch hat sich ihnen überlassen.

Die moderne relativiftifche Stimmung ift eine DomeftikationSerschei-
n u n g. Sie gründet nicht in der Sache, sondern in den gesellfchaftlichen Um-
ftändcn, unter denen der Menfch lebt. Der Relativismus ift keine

Philosophie, kein wissenschaftliches Ergebnis, sondern ein
soziales Phänomen. Jmmer hat man nur daS Berneinende an ihm gesehen.
Sein Positives aber ift die umfassende Werkgläubigkeit des modernen Menfchen.
Eine Gläubigkeit, die an Umfang alles Dagewescne übertrisft. Aller Absolutismus
ift ja separatiftisch: der an ein AbsoluteS glaubende Fromme hält alle Religionen
außer seiner eigencn für falfch. Der freie Edle patri'archalifcher Zeiten trägt sein Recht
auf der Spitze seines Schwertes. Erft der moderne Soziali'Smus, der nicht nur den
Menschen zuruft: ihr müßt euch alle vertragen! sondern auch den Menfchheitsver-
bänden, den Vaterländcrn, den Religionen, den Weltanfchauungen: ihr habt alle
gleiches Recht! laßt cuch gegenseitig gelten! organisiert euch! hat den Glaubcn an
Vorzugs- oder gar Monopolftellung zugnnften imiversaler Wertgläubigkeit be-
seitigt. Ehedem wölbte sich der Himmel über der Erde, dem Leben und dem
Menfchen: das ift ni'cht nur aftronomifch, sondern, was viel mehr Bedeutung ver-
dient, auch moralifch anders geworden. Der Himmel besaß gegenüber der Erde,
dem Leben einen Rang: ein absoluter Unterfchied trennte das eine vom andern,
das Edle vom Unedlen, das Heilige vom Nichtswürdigen. Und alles, waö anf
der Erde edel war: der König, der Edle, der Priefter mußte seinen Rang vom
Himmel legitimiert haben. Das ift eigentlich erft im Zeitalter des Sozialismns,
dem wir angehören, von Grund auf anders geworden. Mit dem Himmel ift auch
die Himmelssymbolik gefchwunden. An Stelle der alten Nangkultur, die nur zwei
Wertprädikate: himmlifch und nnheilig, edel und nichtswürdig, gut nnd fchlecht
kannte, also nur einen ei'nzigen „Wert" anerkannte („Rang" ift Werteinzigkeit),
ift eine Wertkultur getreten, die ftatt edel und unedel: g u t u n d a n ch g u t,
weniger gut zensierte und somit den MonotheiSnms des einen Nanges durch
jenen Wert-Polytheismus, jene Hierarchie der Werte ersetzte, welche als Sozialis-
mus der verfchiedenen Lebenswerte der Moralen, Religionen, Rechkssyfteme, Par-
teien, Ständc, Nationen, Philosophi'en, Volksklassen die absolntiftifchen Ansprüche
des ranggläubigen Menfchen zerftörte. Wenn die Erde (physikalifch) an den
Himmel vcrlegt wird oder der Himmel (moralifch) anf die Erde herniederfteigt,
dann ift der Unterfchied zwifchen beidcn praktifch ausgelöfcht, der Rang ge-
schwunden. Der Himmel als Rangsymbol hat im sozialiftifchen Zeitalter keinen
Ort. Jetzt haben auch der Adel, der Klerus, die Universitäten mit inneren Hem-
mungen zu kämpfen: die ehedem verachteten Werte des gemeinen ungeiftigen
Lebens mit seinen praktischen Bedürfnissen werden fchlechtweg anerkannt.

Damit sind an die Spitze unserer Zeit zwer oberste Begrisfe getreten, die zu
anderer Zeik fchon nur als phi'lvsophifche Begriffe unmöglich gcwesen wären:

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