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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 7 (Aprilheft 1930)
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Der Begleiter. Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0029
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erirmerL wurde. Weil nun diese Erscheinuugeu, trotzdem er sie inuner wieder
von srch zu scheuchen suchte, mit der läsiigen chtachdrücklichkeit von Fieberträumen
sich wreder und wieder an ihn hermrdrängten, stand er anf und trat in das
Zimmer zurück, wo sich mrttlerweile der Zigeunerchor versammelt hatte und
nur auf den einleitenden Akkord des Klavierspielers ivartete, um den Vortrag
eines seiner wilden und zugleich sehnsüchtigen Lieder zu beginnen. Kyrill füllte
eiu Glas mit Weiu und fchritt auf eine ganz junge und in ihrem fchwarzen
hochgefchlossenen Kleid fast überschlank erscheineude Zigeunerin zu, dic in der
ersten Reihe des Chores saß, die Frage des Rittmeisters, wie sie heiße, durch-
aus keiuer lllntwort würdigte und das dargebotene Glas mit einem leichten
Kopfschütteln von sich wies. Sara heißt sie, antworteke eine Mannerstinriue
aus dem Chor; Kyrill aber wandte sich scheinbar ohne jedes Verwundertseiu
ab und ging mit seltsam vorsichtigen Schritken, wie einer der auf gänzlich
fremdem Bodcn sich bewegt, bis zur gegenüberliegendcn Wand, im Vorbei-
gehen das Glas mit eiuem langsam bedächtigen Wurf unter den Tifch werfend.
Ein voller Klavierakkord übertönte das Klirren des Glases, Kyrill lehnte sich
an die Wand und heftete seinen Blick mit hartnäckiger Bestimmtheit auf
Sara, die bcim ersten Ton der Musik ausgesprungen war und mit einer
rätselhaft tiefen Stimme, die kein Menfch in diesem jungcn und fchmächtigen
Körper hätte vermuten können, zu singen anhub. Wer singt nur aus ihr
heraus, dachte der Rittmeisier, das ist doch nicht diese junge Zigeunerin, es
ift ein Land oder ein Volk oder ein Gcist oder der Teufel... und bald hakte
die Frage nach dem eigenklichen Urheber diescs dunklen Singms alle übrigen
Vorstellungen aus Kyrills Hirn verdrängk, und er beglcitete in Gedanken
den Gesang mit einem hastig wiederhollen: wer? wer? wer? im Takte der
Melodie. Als die Musik verftummt war und Sara wieder fast regungslos
in der Mitte ihrer Gefährtiimen saß, fchien es dem Rittmeister, als wäre
die Welt jetzt in ihren wescnlosen Schlaf der Wirklichkeit zurückgefallen, uud
das eigenklich wahre Leben, das Lcben des Traums, sei uuwiederbringlich vor-
über. Festhalten! — dachte er — nur jeht nicht loslassen, sonst ist alles vor-
bei! — und fchon hatte er den Leiter des Chors, einen ältlichen Zigeuner
nüt glattem Scheitel und hängcndem Schnurrbart, zu sich herangewinkt und
ihm seinc Forderung, daß er Sara haben müsse und dem Chor gegenüber
zu jeder Entfchädigung bereit sei, wie einen Revolver auf die Brust geseht.
Der Zigeuuer zog Sara und deren Mutter iu die Vcrhandlung, doch Sara
sehke allen Mitteln der Überredung einen so ftill-entfchlossenen Widerstand
entgegen, daß Kyrill sich dic Wucht der Enttäufchmig fasi wie eine Ohnmacht
auf sein Herz legen fühlte; doch rastte er sich noch einmal zusammen, warf
mit den Wortcn: da zähle! seine gefüllte Briestchche in ,die gefchickt ausge-
streckteu Hände des Chorleittrs und fügte noch hinzu, daß der Chor die Tafche
behalken dürfe, sofern ihm, deni Rittmeister, Sara für die kurze Zeit seines
llrlaubs überlasseu werde. Der Zigeuner legke nach einer kurzen Prüfung
die Brieftafche mit Überwindung in des Rittmeijters Hände zurück und führte
mit Zähigkeit die Verhandlung wcitcr. Kyrill aber wandte sich mit dem ver
lorcnen Gesichtsausdruck eiues Vabanque-Spielers von der ftreitenden Gruppe
ab und sehte sich an den Tifch zu seinen Freunden, wo er ohue Teilnahme
die folgenden Lieder des Chors an semen Ohren vorbeiraufchen ließ und nicht
 
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