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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 1 (Oktoberheft 1931)
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Ullmann, Hermann: Krisenpsychose und Wirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0027
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dem heimlichen, nicht immer unumwunden bekannten Wunsche lebL, vor die
SäkularisaLion in der Denk- nnd Lebensgestaltung zurückzugreifen, und zwar
außerhalb kirchlicher Bindnngen. (Es ist selbstverständlich, daß das evan-
gelische Deutschland solcher Romantik den wesenLlichen Rkährboden, das kaLho-
lische aber sreilich auch mancherlei Resonanz bietet.)

So nützlich im Sinne eines Durchbruchs zur Wirklichkeit jene Erkenntnis
von dem Wesen der jeHL zersallenden Autoritäten ist, so wenig haben diese
romantischen Beruhigungen aus halbem Wege mit jenem schmalen Weg, der
hinweg von den liberalen Illusionen führt, zu tun. 2luch hier mag mancher
tapsere Kämpfer klagen: „Gut Gedachtes in sremden Adern / Wird bald
mit dir selber hadern." Manche schwächlichen Erscheinnngen in der „Bil-
dungspslege", die in keiner Weise der ungehenren Tragik des in vierzehn
europäischen Staaten um seinen Bestand ringenden deutschen Volkstums ge-
recht werden, Spielereien, die wertvolle Kräste ablenken nnd nnzweckmäßige
Beruhigung schaffen, wo schärfster Realisnms nottäte, kommen auf diese
Rechnung; auch manche staatstheoretische Träumerei, die den Weg znr Er-
kenntnis der Wirklichkeit durch Verwechslung von mittelalterlichen Ständen
und heutiger Berufsorganisation versperrt, manches hübsche, aber unechte
Ornament an standespolitischer Interessenvertretung, manche Ideologie, die,
falsch verwendet, dazu dienen mnß, idealistisches, ja geradezu moralisches
Pathos in die Politik einznschmuggeln und die Unklarheit der Fronten zu
vermehren. Iknd das alles immer unter EinsaH von wertvollsten Krästen, die in
sich jenen Glauben, nichtbewußten Glauben tragen. Es sällt schwer, gegen
die Träger dieser idealistischen Träume etwas zu sagen, es sind ausgezeichnete
nnd Lapsere Menschen unter ihnen, die es völlig anders meinten, als ihre
Gefolgschast es deutet. Aber in unserem Zustand bedeutet eine solche Haltung,
wenn sie in der kommenden Führerschaft sich durchseHt, eine Gefahr. Die
Gefahr neuer Illusionen, neuer unpolitischer Beruhigungen, die Ablenkung
auf Rkebengeleise.

Wenn die sich so macchiavellistisch vorkommende „Rechte" in Deutschland
einmal klar erkennen könnte, wieviel unpolitische Romantik in ihr geradezu
Antrieb und Lebensgrundlage ist, dann würde sie sich, angesichts der Folgen,
vor so manchem ihrer geistigen Nothelser bekreuzigen. Die „Linke" mit ihrem
überlebten einseitigen Rationalismus, mit ihrer defaitistischen Bolksverfüh-
rung und ihren liberal-demokratischen Illusionen wäre längst nicht nur
geistig, auch machtpolitisch erledigt, wenn es eine von politischer Romantik
sreie, wirklichkeitsnahe „Rechte" in Deutschland gäbe. Wie die Dinge nun
einmal liegen, geht die Entwicklnng über „rechts" und „links" hinweg. Und
über alle verfrühten Plattformen und Formulierungen.

Rkein, so weit sind wir noch nicht auf unserem Wege zur Erkenntrns der
Wirklichkeit und zur Fähigkeit, sie zu meistern, daß wir jeHt schon abbiegen
könnten zu bestimmteu neuen Formen des Denkens und der Lebensgestaltung.
Nrue Autoritäten wachsen langsam und können weder in der Retorte einer
intellektualistischen Revolution noch am Schreibtisch träumender Historiker
geschaffen werden. Uns bleibt nichLs als: eine zunächst nach universeller Er-
kenntnis unserer Lage strebende Aufgeschlossenheit und eine realistische Kritik,
die nicht verzweifelt. Und der Glaube, daß aus der vorerst noch unübersehbaren

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