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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 4 (Januar 1932)
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Linfert, Carl: Xaver Fuhr
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0302
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Em Kritiker dieses Maierg hgt über die bruchhafte Wirkung seiner Landschaften
gesagt: „Nicht eine bestimmte Großstadtavenue oder ein Flußkanal, den wir ken-
nen könnten, sollen dargestellt, sondern der symbolhaste Erscheinungsroert an den
Dingen außerhalb der sinnlichen Substanz der Natur sosl zur Wirkung getrieben
werden." Das Unzulängliche findet der Kritiker, indem er die „Unmittelbarkeit"
vergebens sucht und schließlich eine „ästhetische Methode" annimmt, aus der die
Bilder zusammengesetzt sind. Alle Befürchtung aber, die diese Betrachtungsweise
vom ersten Hinblick an lenkte, glaubt sich bestätigt im Befund bildstörender „Einwir-
kungen des Berstandes", die daS „ursprünglich Künstlerische" verdrängen.

Jch möchte eine Auffassung dieser Bilder vorschlagen, die anders ansetzt. Sie wird
die Motive des Tadels wie auch jener Zustimmung, die der Kritiker trotz der bild-
lichen Sonderbarkeit FuhrS bei einer kräftigeren Persönlichkeit und einer besseren
Ausprägung der Aufgabe für möglich hält, gar nicht aufkommen lassen. Denn ich
möchte diese Bilder von vornherein in einem ganz anderen Dorstellungsbereich
sehen und damit auch die anderen Maßstäbe finden, die auf sie passen.

Fuhrs Landschaften, Straßenbilder und sonstige Veduten kommen aus einem Vov-
stellungsbereich, der eine feste Ordnung, sei sie naturnah oder konstruktiv, nicht
mehr in Anspruch nimmt. Jm Gegenteil: dieser Vorstellungsbereich ist betont un-
ordentlich. Nicht der Anblick der Dinge, sondern erst der Anblick und die Emsicht,
daß die Dinge vielfach ordnungslos herumliegen, wird zum Stosf und sogar zum
Skil der Fuhrschen Bilder. Sie zeigen durchweg eine knackende, modrige, strichelnde
Form für dingliches Stückwerk und mehrere darüberhin schwappende, verdorrende
Farbflächen, die miteinander in zerbröckelndes, aber noch zusammenhängendes Durch-
einander gebracht werden. Man kann mit einem Wort sagen: Fuhr sieht die Welt
durchaus als Gerümpel vor sich. Dies auszuhalten, und noch mehr, diese Ansicht
dütchzuhalten, wird nicht leicht sein. Daß sie immer wiederkehrt und als Manier
Wirkt, scheint mir verständlich. Man muß bedenken, wieviel Kraft ein solcher
Aspekt erfordert. Da kann sich zeitweise die „Erfindungskraft" stauen und „nichts
Neues" mehr bringen. Ob es wirklich eine Manier aus völliger Leere herauS sein
kann, wird man besser später entscheiden. Das sage ich, weil sogar Freunde und
solche, die sich für Fuhr eingesetzt haben, immer mehr mit diesem Einwand kommen.

Diese „Manier" scheint mir aber auch keine „ästhetische Methode" zu sein. Denn
e8 steht zuviel auf dem Spiel, nicht nur die vorhandene Wirklichkeit selbst, woran
heute angesichts mancherlei Krisen nicht mehr zu zweifeln ist, sondern auch weniger
Wichtiges, das von ihr immer abhängig ist, z. B. die Form des Bildes. WorauS
nämlich besteht Fuhrs bildnerische Leistung? Sie besteht aus dem Gegensatz zwischen
dem natürlich Sichtbaren, das „bildmäßig", farbig ist, und den aufdringlichen
Tatbeständen, wozu alles Kleine (Schrift auf Häusern, Steinfugen, Mauerbruch
usw.) gehört. Dies Kalte, Schwere, Farblose ist in Fuhrs Bildern immer betont,
und auS dem Gegensatz wird möglichst die Kollision gemacht. Das Vielerlei aber,
daS als „Bild" herauskommt, ist mehr als sichtbar: mit dem hinterhältigen Anklang
an Greifbarkeit ist die Gefährdung der Bildform selbst aufgezeichnet. Deshalb liebt
Fuhr die scharfen Linien der Architektur. Mit Eigensinn hebt er sie aus dem nor-
malen Stand, und im Fallen hält er sie in der farblos graphischen „Ordnung"
seiner Bilder fest. Daher kommt das Aufgerissene, auch das Aufrißhafte, archi-
tektonisch Schematische und Antinatürliche seiner Ansichten. Er malt die Wüste
einer durchwühlten, durchgearbeiteten Welt. Bisweilen ist sie mit ein paar Bäumen
durchsetzt, die schwächer zu wachsen scheinen als Drähte und Stangen.

Das ist das Wichtige, daß er für den Gegensatz des historisch Abgelebten (wofür
das Gebaute Beispiel ist) und des immer mehr verbrauchten Naturrestes eine pessl-
misti'sche Form findet. Mir scheint sie nirgends eindringlicher getroffen als in der
striemig gestrichelten, grotesken Stabilitätsentstellung der Archi'tekturen, in denen

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