Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 4 (Januar 1932)
DOI Artikel:
Linfert, Carl: Xaver Fuhr
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0303

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
m'cht (was expressionistisch wäre) einzelne Linien, sondern gleich das Ganze auö
dem Gleichgewicht gebracht ist.

Deshalb scheint mir auch ein weiterer Einwand nicht zuzutresfen, der so lautet: „Aus
Hemmungen entstehen die Experimente, mit denen die schwarze Kanallandschaft oder
das Selbstbildnis verblüsfen. Wenn aber Weiß gleich Schwarz und Schwarz gleich Weiß
wie auf der Negativplatte des Photographen werden, scheint mir das Verlangen nach
einem Entwickler nicht unberechtigt. Fuhr denkt also die Vorstufe des Bildes als

künstlerische llberstufe. Von deren notwendiger Existenz hat er uns nicht über-

zeugt." Ich finde, daß die „Negativplatte" dieser Bilder das Entscheidende ist.
Kein Entwickler kann hier helfen, zumal das Negativ ja entwickolt ist und nur
noch ein Abzug zu wünschen wäre. Der Vergleich mit dem Negativ ist nicht
genau. Denn das graphische Fragment mitten im Gemalten ist das Unge-
wohnliche, bedeutet das „Negativ" in der Sache selbst, und kein Abzug,
der also dahin das Licht brächte, wo es bei Fuhr finster ist, würde hier
etwas nützen. All dieS jedoch nicht, weil die negative „Zwischenstufe" schlecht
und unzulänglich wäre, sondern wsil sie das eigentliche Ergebnis, das Endgültige,
Unabstreitbare deS gemalten Zustandes ist. Diesen aber galt eS bildlich festzu-
stellen. Daß bei dieser Feststellung gewisse, fast bösartig betonte „Verstandesein-
wirkungen" an der Dildform mitarbeiten, ist sicher. Wie man auö früherer Kunst
weiß, brauchen sie das Künstlerische nicht notwendig zu stören. In der Renais-
sance redete man nicht wie heute von dem „strotzenden Leben", das den Wert eines

Kunstwerks ausmache; und trotzdem waren auch kühle Werke, wie die GiorgioneS,

Parmiggianinos und Salviatis zwingend. Ia, diese VerstandeSeinwirkungen kön-
nen das Künstlerische sogar nicht einmal „stören", sondern nur vor immer deut-
lichere Entscheidungen stellen, falls die Entwicklung einer Kunstepoche so weit ist,
daß das Künstlerische gar nicht mehr ei'ndeutig feststeht. Und so ist es doch heute.

-i-

Fuhr ist ohne regelmäßige Schulung zum Malen gekommen: er war früher
Fabrikarbeiter. Solche Autodidakten sucht man gewöhnlich mit der Feststellung zu
diskreditieren, daß sie „archaisieren". Wie wenig das für den Wert des Bild-
gehalts besagen kann, haben wir früher ausgeführt (Kunstwart igZi, Seite öZo).
Es ist diesen gestückten, oft aus dem Kleinsten heraus aufgetürmten Bildern allev-
dings eigen, daß sie altertümlich wirken. Wer Henri Rousseau verehrt, spricht nicht
davon; oder er erklärt eilig, daß er nur das Kuriose oder Rührende an diesen
Bildchen liebt.

Hier aber müssen wir es als osfensichtlich hinstellen, daß die ruinöse Stückung der
Bilder Fuhrs weder kurios noch rührend ist. Er malt etwa den Ausblick auf eine
alte Stadt mit einer alten Kirche. Die meisten verstehen nicht, weshalb das Bild in
einem guten Sinne aktuell ist: das Sujet sei doch das des üblichen Landschafters
und die Malweise kindisch manieriert, blutlos, gestrichelt wie eine unordentliche
Linealzeichnung. Aber eS kommt eben nicht darauf an, daß heute jemand eine De-
monstration der Arbeitslosen malt; daS würde höchstwahrscheinlich nur die bloße,
kolportierte Tatsache, eine unbeurteilte Anekdote vermitteln, ohne, über das Kolo-
ristische hinaus, den durchschauenden Geist deS Malens in Anspruch zu
nehmen.

Es kommt also doch darauf an, wie etwas gemalt wird, und sei es auch eine
„unaktuelle" alte Stadt. Dieses Verlangen hat nichts zu tun mit dem bekannten
Wertstreit über die Impressionisten: ob ein gut gemaltes Spargelbündel mehr wert
sei als eine schlecht gemalte Madonna; wobei wegen der extremen Wahl der Gegen-
stände mit Recht vorausgesetzt wurde, daß eine gut gemalte Madonna so leicht
nicht mehr vorkommt (nebenbei: heute noch weniger als damals). Vielmehr ist in

257
 
Annotationen