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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI issue:
Heft 8 (Maiheft 1932)
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Conrad, Joseph: Der geheime Teilhaber: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0585
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Ich lreß die Großrahe rundkommen und warteke hilflos. Das Schiff hatte
vielleicht keine Fahrt, und unter der fchwarzen Masse der Insel Koh-ring, die
turmhoch wie das Tor der ewigen Nacht über seiner Heckreling ragte, hrng
sein Schicksal an einem Haar. Was würde es jeHt machen? Hatte es noch
Fahrt in sich? Rafch trat ich an die Reling, und auf dem fchattenhaften
Wasser konnte ich nichts als em fchwaches phosphoreszierendes Flimmern
sehen, das die glasige Glätte der fchlafenden Wasserfläche zeigte. Es war
unmöglich, irgend etwas zu wissen, ich hatte noch nicht das richtige Gefühl
für dieses Schiff. Bewegte es sich? Was ich brauchte, war ekwas, was
leichk zu sehen war, ein Stückchen Papier, das ich über Bord werfen konnte
und beobachten. Ich hatte aber nichts bei mir. Danach hinunterzulaufen
wagte ich nicht. Dazu war keine Zeit. PlöHlich fielen meine gespannten
sehnsüchtigen Blicke auf einen weißen Gegenftand, der kaum einen Meter
weit entfernt von der Schiffsseite fchwamm. Weiß auf dem fchwarzen Was-
ser. Darunter lenchtete es phosphoreszierend anf. Was war es?... Da
erkannte ich meinen eigenen weichen Hut. Er mußte ihm vom Kopfe gefallen
sein.... und er hatte ihn fortfchwimmen lassen. IeHt hatke ich, was ich
Wollte — das rettende Merkmal. 2lber ich dachte kanm mehr an mein anderes
Selbft, das nun vom Schiff fort war, um für immer fern von allen
Freunden ein Flüchtling und Wanderer auf Erden zu sein, kein Zeichen des
Fluches auf seiner klugen Stirn, das die Lötende Hand häkte aufhalten
können... zn ftolz, um sich zn rechtfertigen.

Ich beobachtete den Hut — dies Symbol meines plöHlich erwachten Erbar-
mens mit der SchuHlosigkeit dieses Mannes. Dieser Hut sollte sein heimat-
loses Haupt vor den Gefahren der Sonne fchüHen. Und nun — siehe da —
fchüHte er das Schiff vor dem Untergang, indem er nn'r als ein Zeichen
diente, um der Unwissenheit meiner Fremdheit abznhelfen. Ha! Er trieb
geradeaus und warnte mich noch rechtzeitig, daß das Schiff angefangen hakke,
Fahrt über den Achterfteven zu bekommen.

„Herum das Ruder!" sagte ich leise zu dem Stcuermann, der regungslos wie
eine Statue daftand.

Im Lichte der Kompaßlaterne glänzten die 2lugen des Mannes wild, als er
nach der anderen Seite sprang und das Rad hernmfchnellke.

Ich ging nach der Schanze. 2luf dem überfchatteken Deck ftanden alle Mnnn
an den Fockbrassen und warteten anf meinen Befehl. Die Sterne über uns
fchienen von rechts nach links zu gleiten. Und im Weltall war alles so still,
daß ich die leise gesprochene Bemerknng „IeHt ift es herum", die einer der
Seelente mit größter Erleichterung fallen ließ, deuklich hörte.

„Rund überall!"

Ilnter dem munteren Rufen der Leute kamen die Fockrahcn mit großem Lärm
herum. Und nun machte sich der furchtbare Backenbart dnrch Erteilnng von
verfchiedenen Befehlen bemerkbar. Schon nahm das Schiff Fahrt auf. Und
ich war allein mit ihm. Nichts! Rkiemand sollte nun zwifchen ihm und mir
ftehen und einen Schatten auf den Weg fchweigenden Verftehens und ftnm-
mer Liebe werfen, auf die völlige Gemeinfchaft eines Seemanns mit seinem
erften Schiff.

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