Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Ullmann, Hermann: Vom Volk zur Nation
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0850
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
es entsteht die von wenigen großen Massenempfindungen und Massenerleb-
nissen erfüllte, Lhre Einheit bewußt lebende Nution. 2llle Anzeichen denten
auf das zweite Ergebnis hin.

In diesem Zwischenzusiand muß der Staat als Sachwalter des Volkes,
nicht der politisierenden Extreme, das LeHLe an Form und Autorität wahren,
und zwar nn R^amen der künftigen Nntron. Ie mehr der Kernsiaat
an diese seine Anfgabe herangedrängt wird, desio weniger können die alten
Parteien, die noch immer in der Vorkriegssiruktnr gefangen sind, mitregieren.
Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß Brüning noch an Parteien, mindesiens
an seine eigene, geradezu als Staatsersatz dienende Partei gebnnden, alle
entscheidenden Probleme mit ersiaunlicher Äollsiändigkeit und Eindringlichkeit
dnrchgeprobt, aber keines gesialtet hat, so daß ersi einer Regierung, die sich
parteilos nennt, die Ausführung zufällt. Moralifche und agitatorische Vor-
würse wegen dieser Zusammenhänge gehen am Wesentlichen vorbei. In dem
Angenblick, da dieses geschrieben wird, herrscht Unklarheit darüber, ob nicht
eine neue Bindung an Parteien, die im Augenblick der Entscheidung immer
wieder sich als uneinheitlich und zur Verantwortung unsähig erweisen, ein-
gegangen wird. Wie es denn, namentlich von der Anßen- und Wirtschafts-
politik her, noch viele Rückschläge auf diesem Wege geben wird. Das
Problem der Erwerbslosigkeit, das nicht lünger mit dem Hinweis auf die
Weltzusammenhänge hinausgefchoben werden kann, wird es vielleicht not-
wendig machen, die gordischen Berknotungen der Parteientaktik zu durch-
hauen. Die Regiernng Papen hat weder in der Außen- noch in der Wirt-
schaftspolitik bisher die Linie gewonnen, die ihrem innersien Sinn (als
ersien Bollsireckers der gehemmten Brüningschen Ansätze) entspräche. Die
innenpolitischen Ansätze allein genügen keinesfalls.

Auch sonsi scheint der Weg zu einer neuen Funktion des Kernsiaates keines-
wegs in der nächsien Zukunst geradeaus zu führen. Die Nütionalsozialisien
sind durch ihr Ersiarren in einer Partei, durch ihr Mitsgielen im parlamen-
tarischen Mehrheitsspiel geradezu in Gefahr, eine Bersiärkung des rein „eta-
Lisiischen Denkens" in Dentschland zu werden, ganz im Gegensatz zu den ur-
sprünglichen Antrieben der von Üsierreich ausgegangenen Bewegnng. Die
Allmacht des Staates wird anch desio siärker hervortreten, je mehr er für
die Rettung ans den wirtschafklichen Nöten in Anspruch genommen wird.
Aber es isi jetzt schon klar: je mehr Autorität der Staat benötigt, desio
weniger wird er aus den alten, immer mehr versiegenden Duellen schöpfen
können, die von dem Nnmen Hindenburgs bezeichnet werden. Gerade an
der Gesialt Hindenburgs und an den „Integrationen", die sie (trotz des
großen innerpolitischen Autoritätsverbrauchs) innerhalb der ganzen Nation,
u. a. anch bei den Außendenkschen schasit, zeigt sich, daß der Kernsiaat mit
zunehmender Überlasiung zugleich neue Duellen seiner Antorität aufschließen
muß. I^eue Legitimation aber kann er nur aus dem in aller äußeren
Schwäche immer mehr ersiarkenden Willen der R^ation ziehen. Die Zeit,
in der die volle Wirksamkeit der Nütion hervortreten wird, wird freilich
ersi dann kommen, wenn es gilt, Europa neu zu gesialten. Dann werden die
Rkationalsiaaten, die heute schon, wie die nach französischem Musier ausge-

75i
 
Annotationen